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Ästhetik der (Selbst)-Kontrolle

Manja Eberts Arbeiten über digitale Gegenwartsphänomene 

Es herrscht die allgemeine Fehleinschätzung vor, Schlafen sei etwas Passives. Dabei geschieht erstaunlich viel, während man vermeintlich still liegt: Die Muskeln zucken, man dreht und wälzt sich herum, man atmet und schnarcht – und natürlich träumt man auch. Allerdings haben die meisten – wenige Wachschläfer*innen ausgenommen – keine Kontrolle über diese Prozesse, sie laufen einfach ab. Im Schlaf hat man keine bewussten Intentionen und kann sich deshalb auch nicht eigens in Szene setzen (es sei denn, man tut nur so, als schliefe man!). Weil Schlafende als besonders unverstellt wahrgenommen werden, finden es umgekehrt viele auch gruselig, im Schlaf beobachtet zu werden – selbst vom eigenen Partner. Schlafen ist offensichtlich etwas höchst Intimes. Und diese Intimität zu teilen bedeutet sich auszuliefern, wenn man am empfindlichsten ist.

Aus diesem Grund irritiert Manja Eberts 9-Kanal-Videoinstallation sleepingsquad. Die 2016 realisierte Arbeit zeigt auf neun Bildschirmen wechselnde Aufnahmen von Menschen, die gerade schlafen. Durch aus Sozialen Medien vertraute Symbole wird deutlich, dass es sich dabei um (aufgezeichnete) Livestreams handelt: ‚Daumen hoch‘ für ‚Gefällt mir‘, das Symbol eines Auges für die Anzahl von ‚Viewers‘. Dieser Kontext suggeriert, dass sich die jeweiligen Protagonist*innen freiwillig und selbst in die Öffentlichkeit streamen. Ebert zeigt durch die Aufstellung ihrer ‚Mannschaft‘ von Schlafenden: Im Netz wird auch das Schlafen zu einer sozialen Aktivität. Unweigerlich schließt sich daran die schlichte Frage an: Warum? Da alle gestreamten Personen einzeln schlafen, macht sich ein trauriger Gedanke breit: Geht es vielleicht darum, nicht allein nächtigen zu müssen? 

Wer mit der Onlineplattform younow.com vertraut ist, die im Jahr 2015 ein beliebter Streaming-Dienst war, wird die Videos jedoch mit anderen Augen betrachten, sie als einen Nebeneffekt des Geschäftsmodells des Videoportals interpretieren: Für Sendezeit erhält man sogenannte Coins, mit denen wiederum Geschenke und Interaktionswerkzeuge erworben werden können. Sich beim Schlafen zu streamen, das bedeutet demnach leicht verdiente Coins. Das heißt aber auch: Man entscheidet sich nicht selbst dazu, die intimsten Momente des Privatlebens zu veröffentlichen, sondern wird subtil von der Plattform dazu gebracht. Die erst angenommene freiwillige Selbstkontrolle entpuppt sich als Fremdkontrolle – oder? Wäre es nicht auch möglich, das Licht auszumachen und somit eine schwarze Farbfläche zu streamen und die Ökonomie von younow.com dadurch zu unterwandern? Ist es am Ende nicht doch eine freie Entscheidung, auf welche Weise man das Netzwerk als Medium für sich nutzt?

Die Schlafenden, die sich online streamen, sind ein Randphänomen. Aber in der Konzentration auf dieses Randphänomen werden Mechanismen und damit verbundene Diskurse sichtbar, die genauso auch in anderen Erscheinungsformen der digitalen Kultur zu finden sind. Auch bei einem ‚klassischen‘ Selfie oder beim Posten alltäglicher Momente ist nicht entschieden: Handelt es sich dabei um die eigene Entscheidung oder wird man doch von anderen dazu veranlasst? Kontrolliert man sich selbst oder wird man kontrolliert? Die von Manja Ebert fokussierten Live-Schlafenden werden somit zu einem Sinnbild für jene großen Themen, die mit der digitalen Kultur im Allgemeinen verbunden und in fast allen virtuellen Phänomenen problematisiert sind: die Verschiebung oder sogar Auflösung der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, die durch das Teilen intimster Momente einen bitteren Beigeschmack hinterlässt; die damit verbundene permanente Aufforderung zur Selbstdarstellung in nahezu sämtlichen Bereichen des alltäglichen Lebens; außerdem das Gefühl der ständigen Kontrolle durch andere und durch sich selbst. 

Die Auswahl solcher Phänomene steht am Anfang des künstlerischen Arbeitsprozesses von Manja Ebert. In der im Netz vorherrschenden, teilweise unübersichtlichen Vielfalt sucht sie nach präzisen Erscheinungsformen, extrahiert diese und macht sie damit überhaupt erst als solche sichtbar. Dadurch findet auch eine Ent- und Neukontextualisierung statt: Die ursprünglichen Bilder oder Filme werden ihrer eigentlichen kommunikativen und sozialen Funktionen beraubt und somit selbst zum ‚Sprechen‘ gebracht. Das gelingt nicht zuletzt durch die Überführung der digitalen Bilder in den analogen Ausstellungsraum, in dem sie regelrecht freigestellt werden. So hat Ebert für ihre Arbeit Listen von 2015 die Selbstdarstellung von überwiegend Jugendlichen, die Songs von Beyoncé, Miley Cyrus, Ed Sheeran und Justin Bieber auf YouTube covern, in den Fokus gerückt.

Hier hat das ursprüngliche Material eine umfassende Transformation erfahren: Aus einer Sammlung von entsprechenden Videos unterschiedlicher Channels hat Ebert eine multimediale Rauminstallation erarbeitet, in der die Videos neben-, über- und untereinander ablaufen. Dafür hat sie das ursprüngliche Material beschnitten, sodass die Gesichter der Jungen und Mädchen im jeweiligen Bildmittelpunkt stehen. Die Stimmen bilden eine polyfone, kaum erträgliche Klanglandschaft, nur hin und wieder treten vereinzelte in den Vordergrund. Die vorbeiziehenden Videos und der Sound überlagerter Gesänge lösen unweigerlich Bedrücken aus und interpretieren die Freude am Performen, die den Gesichtern durchaus noch zu entnehmen ist, als einen verzweifelten Akt des Kampfes um die Gunst der Zuschauer*innen. Auf ähnliche Weise kippt dann auch die kreative Ausdrucksweise in plattformorientierte Normerfüllung und die individuelle Selbstdarstellung in kollektiven Gleichgesang.

Um die Dialektik von Selbst- und Fremdkontrolle geht es auch in der 2018 entstandenen Installation I’ll be there. Für diese Arbeit hat Ebert ein Phänomen bearbeitet, das für die zunehmende körperliche Verschränkung des analogen und digitalen Raums durch Augmented Reality steht. Über drei hochformatigen Bildschirmen in Form eines Altarretabels ist eine Kamera angebracht, die die Betrachter*innen filmt und deren Bild in Echtzeit auf den Screens wiedergibt. Was man dann sieht, ist von Instagram, Facebook oder Snapchat wohlvertraut, wenn man sich eine virtuelle Maske anzulegen versucht: Das Gesicht wird durch Linien und Punkte grafisch vermessen. Doch solang man sein Gesicht auch betrachtet, die Sichtbarkeit der Face-Tracking-Software verschwindet nicht, es wird kein Beauty-Filter darübergelegt und es werden auch keine witzigen Tierohren an das eigene Gesicht gezaubert. Plötzlich realisiert man – gewissermaßen am eigenen Leib: Zwischen dem echten und dem virtuellen Gesicht liegt noch ein ausgeklügeltes technisches Werkzeug, das keinesfalls nur zur Unterhaltung, sondern – durch Gesichtserkennung, also die Identifikation von Personen durch die Erfassung der individuellen Merkmale – genauso zur Überwachung eingesetzt werden kann. Man realisiert als Teilnehmer*in dieses Closed Circuits aber durchaus auch, dass man um den Einsatz weiß, das Medium und die Netzwerke jedoch trotzdem nutzt: eine unauflösbare Hassliebe.

Alle von Manja Ebert in den Blick genommenen Gegenstände, seien es Coversong-Performances auf YouTube, Live-Schlafende auf YouNow oder die Gesichtsvermessung, setzen sich mit der permanenten Konfrontation mit dem eigenen Bild auseinander. In Ill be there lässt sie uns sogar mit unserem virtuellen Ich sprechen: Vor dem Altarbild steht ein Podest, bei dessen Berührung verzerrte Textzeilen berühmter Lovesongs der Popmusik ertönen. „I'll be there to comfort you“ hört man zum Beispiel, während man das eigene Bild betrachtet. Erst in diesem Moment macht sich bemerkbar, wie selbstbezogen viele Praktiken in den Sozialen Medien sind, die teilweise zu unrecht als ‚narzisstisch‘ abgewertet werden. Ebert zeigt nämlich, dass sie in vielerlei Hinsicht das Resultat der Notwendigkeit sind, überhaupt mit dem eigenen Körper in der virtuellen Welt präsent zu sein.

Manja Eberts Arbeiten eint, dass noch nicht entschieden ist, welche Entwicklung die in und mit ihnen betrachteten Phänomene nehmen werden, welchen Einfluss sie tatsächlich auf unsere Wahrnehmung, unser Denken und Handeln haben werden. Es sind Erscheinungsformen unserer Gegenwart und als solche weiß Manja Ebert sie in ihren Arbeiten souverän in Szene zu setzen: als Zeugnis einer Faszination wie auch als Gegenstand einer kritischen Überprüfung.

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Der Text erscheint im Rahmen der Publikation Manja Ebert, Me - Ästhetik der (Selbst)Kontrolle im Rahmen des Goldrausch Künstlerinnenprojekt 2020. Ihr Arbeiten sind außerdem in der Ausstellung Sirene – Goldrausch 2020 zu sehen, die Arbeiten der aktuellen Stipendiatinnen des Goldrausch Künstlerinnenprojekts zeigt und (hoffentlich) vom 01. Dezember 2020 – 10. Januar 2021 Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen ist. Außerdem stellen aus: Yasmin Bassir, Chan Sook Choi, Solweig de Barry, Manja Ebert, Caterina Gobbi, Rosanna Graf, Mona Hermann, Emily Hunt, Sidsel Ladegaard, Gosia Lehmann, Julia Lübbecke, Silvia Noronha, Kristina Paustian, Eva Pedroza, Juliane Tübke. Kuratorinnen: Surya Gied, Hannah Kruse.

 
 
 

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