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Über Internethumor

Kaum etwas nimmt einen so großen Einfluss auf die Netzkommunikation wie Humor. Wo beständig Inhalte generiert werden müssen, dient Humor als Gesprächsanlass. Wo sich Gesprächssituationen negativ entwickeln, bietet Humor die Möglichkeit, Aggressionen oder Wut zu unterbrechen. Und wo man stets mit den Statements Fremder konfrontiert ist, stiftet Humor Gemeinsamkeit: Nichts ist so schön wie ein (vermeintlicher) Insider-Scherz. Umgekehrt wird man durch die Existenz lustiger Meme aber auch öfter dazu motiviert, einem Thema mit Humor zu begegnen. Der Humor im Netz ist vielfältig. Und jede Plattform, jedes soziale Netzwerk kreiert eigene Formen von Humor und entsprechende Formate. Auf YouTube gibt es Prank-Clips, bei denen es darum geht, einen Unwissenden zur Weißglut zu bringen. Ein Vorgänger findet sich in Fernsehformaten wie Versteckte Kamera. Auf 4Chan, Reddit oder 9Gag gibt es Rage-Comics – eine spezielle Art von WebComic, auch bekannt unter Rage Faces – Wutgesichter –, die ihren Witz nicht zuletzt daraus beziehen, dass sie aussehen, als seien sie mit Microsoft Paint gemalt, und dadurch den Humor des Dilettantischen ausstrahlen. Auf fast allen Plattformen gibt es mittlerweile Image Macros - die mithilfe von Online-Softwares schnell und einfach selbst erzeugt werden können. Man erkennt sie an dem standardisierten Format: ein Bild wird am oberen und unteren Rand mit einer kommentierenden Textzeile versehen. Der Text hat immer dieselbe Typografie. Durch dieses strenge Format muss der Betrachter oft schon schmunzeln, bevor er die Zeilen gelesen hat, weil er sich bereits in der entsprechenden Erwartungshaltung - dass gleich ein Witz kommt - befindet. Oft ist mit Internet-Witzen auch eine Challenge verbunden: Wer hat den besseren Humor, wer ist schlagfertiger. Innerhalb von Communities geht es zudem darum, wer etwas Lustiges zuerst entdeckt hat.

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Im Netz gibt es nicht auf der einen Seite einen Witzproduzenten, der unterhält, und auf der anderen seine Zuschauer, die konsumieren, sprich lachen. Vielmehr entstehen Witze oft erst durch die gemeinsame Produktion – zumindest dann, wenn nach reger Partizipation und Verwendung eines Witzes ein neues Format oder gar eine Mem entsteht. Henry Bergson hat in seinem Essay „Das Lachen“ von 1900 zwei wesentliche Merkmale des Komischen bestimmt: Alles was komisch ist, hat sowohl eine lebendige als auch eine mechanische Seite. Deswegen werden in klassischen Sketchen beispielsweise gerne Gewohnheiten oder Konventionen aufgegriffen – oder auch Spleens. In ihrer ständigen Wiederholung werden sie mechanisch und damit komisch. Man denke nur an Dinner for one: elfmal stolpert der Butler James über den Kopf des Tigerfells. Das ist an sich natürlich ganz und gar nicht lustig, aber durch die Wiederholung, den Automatismus, muss man lachen. „The same procedure as every year“ – ein Running Gag. Viele Internet-Meme lassen sich bereits formal auf diese Formel von Bergson beziehen. Zum Beispiel ein Gif: Einerseits hat es etwas Lebendiges, denn es ist ein bewegtes Bild und besteht meistens aus nachvollziehbaren Szenen des Lebens. Aber es lebt eben auch von der Wiederholung - das ist die mechanische Seite. Auf der anderen Seite gibt es Humor, der erst durch den richtigen Kontext entsteht. Etwa in einem „Gespräch“, sprich Chat, oder in Kommentaren. Mit Witzen kommuniziert man, und sie sind auch ein Medium geworden, mit dem sich Inhalte gut verbreiten lassen. Gute Witze in Form von Memen eignen sich hervorragend, um weitererzählt zu werden, weil sie pointiert sind. So können sie schnell begriffen werden und sind anschlussfähig. Witze sind insofern auch ein Medium der Verbreitung geworden. Durch Formate wie Gifs – besonders Reaction-Gifs –, aber auch verschiedene Konventionen der Netz-Sprache – beispielsweise die Verwendung von „1“ statt „ein/eine“ oder „vong“ statt „von“ – ist Humor zu einem wichtigen Bestandteil unserer alltäglichen Kommunikation und auch zu einem wichtigen Stilmittel in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen sowie deren Berichterstattung im Internet geworden. Kaum eine Nachricht, die nicht von irgendwem mit einem lustigen Reaction-Gif oder netzsprachlich kommentiert wird. Auch, wenn es heikel wird, wie bei #BrusselsLockedDown im November 2015. Oder nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Auch wenn Humor immer schon ein Katalysator für schlechte Nachrichten oder negative Emotionen war, wird es durch Meme, die zum Teil der Alltagskommunikation geworden sind, immer gängiger. Scherze sind eine legitime Reaktion selbst auf ungemütliche bis grausame Nachrichten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Nachrichten im Netz oft erwidert werden müssen - und das mit einem möglichst Statement. Das erfordert Komplexität, die sich mit (angedeutetem) Humor gut ausdrücken lässt. Dieser muss als solcher zu erkennen sein, weshalb Humor mehr denn je mit Referenzen zu bestehenden lustigen Formaten ausgestattet ist. In verschiedenen Milieus hat sich der Humor deshalb sehr spezialisiert und ist anspielungsreicher geworden. Insofern kann man beobachten, dass in weiten Kreisen des Internets ein gewisser Nerd-Humor Konjunktur hat, den man auch von Serien wie „Big Bang Theorie“ kennt, der etwas schräg daherkommt, weil er zum Beispiel auf etwas anspielt, das nicht jeder kennt. Nerd-Humor ist immer auch Insider-Humor und entwickelt sich zunächst in kleineren Communities etwa bei 4Chan oder Reddit, ehe es in die ganz großen Netzwerke wie Facebook oder Twitter überschwappt. Aber gerade spezieller und anspielungsreicher Humor, den man Nerd-Humor nennen kann – aber nicht muss –, erhöht auch die Gefahr für Kommunikationsdesaster: nämlich wenn er nicht richtig verstanden oder eingeordnet werden kann. Als etwa Tilo Jung zum Weltfrauentag ein Foto auf seinem Instagram-Account gepostet hat, bestehend aus vier Bildern, auf denen jeweils die Rückenansicht einer Frau abgebildet ist. Man sieht, wie sie zuerst die Hand eines Mannes hält – der sie dann im letzten Bild tritt. Das hat eine große Empörung ausgelöst - nicht zuletzt deshalb, weil die Betrachter des Posts die Anspielung nicht verstanden hatten. Es war eigentlich als Parodie des Follow-me-to-Projekts von Murad Osmann gemeint. Nicht zu denken an Böhmermanns Schmähgedicht, von dem ja noch immer nicht klar ist, ob es die tatsächlichen Folgen provozieren wollte oder nur ein Kommunikationsdesaster war. Zu guter Letzt ist Humor in vielerlei Hinsicht ein Legitimationswerkzeug. Es berechtigt dazu, Banalitäten zu konsumieren (Stichwort „Catcontent“), die Kindheit zu erinnern (90-Jahre-Gifs 4ever) oder ein Gespräch unbegründet zu beenden („Life goes on, man.“). Der Social-Media-Alltag ohne Humor? Unvorstellbar.

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