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Über Tumblr

Obwohl Tumblr auch in Deutschland immer erfolgreicher wird, finden sich nur wenig interessante Auseinandersetzungen mit dem sozialen Netzwerk. Von "visueller Anarchie" war einst in der ZEIT die Rede. Das ist zwei Jahre her. Seitdem fürchtet man das Potential zur Urheberrechtsverletzung, sorgt sich um "Porno-Probleme" und definiert Tumblr als Rückzugsraum vor den Eltern, die mittlerweile Facebook bevölkern. Nur sehr wenig Tumblr sind in Deutschland populär, darunter Kim Jong-Il looking at Things (vor zwei Jahren aktualisiert), Emojinal Art Gallery, Hot Dog Legt oder Yacht Cats - die alle der selben Logik folgen. Es scheint, als hätte man Tumblr noch nicht verstanden. Dabei unterscheidet sich die Plattform wesentlich - sowohl von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Co. als auch von klassischen Blogs. Wie funktioniert also Tumblr? Tumblr ist Mikroblog und soziales Netzwerk zugleich. Jeder konstelliert seine eigene Inhalte, die er gleichzeitig allen Tumblr-Nutzern zur Verfügung stellt. Zur Verfügung stellen heißt, es zu Wiederveröffentlichung auf anderen Tumblr-Blogs freizugeben. Bei Tumblr gibt es keine Kommentarfunktion, wohl aber Anmerkungen: das heißt Likes und Reblogs. Rebloggen ist die zentrale Anwendung beim Zusammenstellen des eigenen Tumblr. Um das Urheberrecht nicht zu verletzten, enthält jeder Reblog den Link zu seiner Quelle. Doch die tendenziell gen unendlich tendierende Menge an Reblogs verschleiern die Quelle bis hin zur Unkenntlichkeit, denn bei über 500.000 Anmerkungen liegt es fern, die Zeit dafür aufzubringen, alle Verweise bis zum Ursprung nachzuverfolgen. Auch in diesem Sinne befindet sich Tumblr in einem anarchischen, herrschaftslosen Zustand. Die Bezeichnung „visuelle Anarchie“ betrifft auch die uneingeschränkte Zugänglichkeit von Bildern, die bisher für bestimmte Milieus und Altersklassen im verborgenen lagen: Bilder der Gewalt oder pornografische und fetischistische Bilder sind die harmloseren unter denen, deren Existenz man bisher noch nicht einmal für möglich hielt. Vor diesem Hintergrund präsentiert sich Tumblr auch als ein Ort für Schaulustige. Und ein Schutzgebiet für Minderheiten. Dabei ist unklar, ob die Lust - am Pornografischen, Fetischistischen oder auch nur am Schauen, befriedigt wird oder angeregt. Oder beides gleichermaßen und zur selben Zeit stattfindet. Die Einfachheit der Aneignung fremder Produktionen und die Möglichkeit diese willkürlich und nach eigener Intuition mit anderen oder eigenen Bildern, Texten und Audios zu konstellieren, führt zu einem vielfältigen, schier unendlichen Konsum von Bildern. Dabei ist man zugleich Zuschauer, insofern man „live“ beim hochladen der Bilder anderer Tumblr-Nutzer dabei ist und deren Bilderrausch verfolgen und teilen kann. Insofern ist der Umgang mit Bildern auf Tumblr ist ein höchst aktiver.  "Tumblrn" ist eine eigenständige kulturelle Praxis.  Die Aktivität zeichnet sich dadurch aus, dass es eine radikalisierte Form des Zappens, wie man es vom Fernsehen gewohnt ist, mit einer beschleunigten Form von Auswahl und Konstellation der Bilder auf einer eigens angelegten Blogseite kombiniert. Die Schnelligkeit mit der getumblrt wird, regt zu der Annahme an, das Konsum und Produktion von Bildern oder ihrer Konstellation nahezu ineinanderfallen. Der Konsum scheint sogar die Produktion von eigenem Material regelrecht anzuregen. Mit dem eigenen Material, scheint sich der tumblr-Nutzer in die Bildwelt des Internets einschreiben zu wollen. So bedient er sich beispielsweise meistens besonders populären Bildästhetiken, um sich selbst dazustellen. Der Erfolg eines eigens erzeugten Bildes - messbar durch die Anzahl an Anmerkungen und Reblogs - wird als Erfolg der eigenen Persönlichkeit, des Aussehens oder der eigenen Fähigkeit empfunden. Die Frage nach der Selbstkonstitution derer, die aktive tumblr-Nutzer sind, stellt sich im Vergleich zu Sozialen Netzwerken wie Facebook, als eine wesentlich komplexere dar. Wenngleich auch Tumblr ein soziales Netzwerk ist, indem es zentral um die Verknüpfung der Nutzer und ihrer jeweiligen Inhalte geht, so darf doch nicht aus dem Blickfeld geraten, dass tumblr nicht personalisiert ist. Hinter den Blogs steht kein erkennbares Subjekt. Nicht einmal ein konstruiertes Profil. Die fehlende Personalisierung des Tumblr-Nutzers hat wiederum einen erheblichen Einfluss auf den Bildgebrauch. Dieser gestaltet sich häufig als ein unbeschwerter, situativer und intuitiver Umgang mit Found Footage. Dabei stellt sich Zufall als eine zentrale Instanz bei der Entstehung der jeweiligen Bildwelten dar. Die situative, an den Zufall geknüpfte Auswahl ist es wiederum, die dazu führt, dass das Einzelbild an Bedeutung verliert. Vielmehr kann nur die Vielzahl an Bildern eine Atmosphäre erzeugen - die dem jeweiligen Tumblr ein Profil verleiht. In dieser Atmosphäre zeigt sich dann auch wieder ein Subjekt, das mit bestimmten Vorlieben und Geschmäckern ausgezeichnet ist. Nicht selten betrachtet sich dieses Subjekt, spätestens dann, wenn es seinen Bildgebrauch professionalisiert hat, als Kurator und Künstler. Gleichzeitig stellen sie gängige Vorstellungen von Kunst in Frage. Sie führen sowohl gegenwärtige Rollenverteilungen als auch den modernen Werkbegriff ad absurdum. „“ schreibt Boris Groys. Internetplattformen wie Tumblr bieten hingegen Möglichkeiten und Wege einer solchen Assimilationen gerecht zu werden, wenngleich sie noch nicht marktkonform sind. Doch wie genau sehen diese Möglichkeiten und Wege aus? In welchen Verhältnis stehen soziale Netzwerke, insbesondere Tumblr, zu den Bildern der Kunst? Und weitere Fragen knüpfen sich daran an: Ist das Tumblrn als künstlerische Tätigkeit oder gar Methode zu verstehen? Und wenn ja, wie sehen jene Tumblr aus, die man mit dem Attribut Kunst versieht? Welche Auswirkungen hat Tumblr auf die kuratorische Praxis im realen musealen Raum? Welches Potential besitzt Tumblr, Bilder der Kunst und Kunstgeschichte aufzuwerten und neu zu kontextualisieren? Wie könnten solche Strategien aussehen und wie würde sich ihr realer Erfolg darstellen? Wie wird der Erfolg auf Tumblr - der ein spürbarer ist, jedoch zumeist ohne Konsequenzen - Vorstellungen von Popularität verändern? All das sind Fragen, die bisher weder explizit gefragt, geschweige denn beantwortet worden wären. Dabei handelt es sich wahrlich um einen eindrucksvollen Umgang mit Bildern, Texten, Sounds, Gifs und Videos, der nachuntersucht werden sollte.

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