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Es müsse einen guten Grund geben, heute noch Bilder an die Wand zu hängen – sagt Sebastian Riemer

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der ehemaligen Website von art – Das Kunstmagazin veröffentlicht. Warum wollen sich Künstler eigentlich ständig abgrenzen und neu erfinden? Meistens erzeugt die Jagd nach Bildern, die die Welt noch nicht gesehen hat, vor allem Ohnmacht, findet unsere Autorin Annekathrin Kohout und fordert nach dem Besuch einer Ausstellung im Museum Folkwang mehr Mut zur Wiederholung. Ein angeblich neuartiges Bild des beteiligten Künstlers Sebastian Riemer interessiert sie aber natürlich doch. 

Als junger Künstler, der vorwiegend fotografiert, ist man heutzutage mit sehr vielen und auch sehr guten, heißt sowohl

professionellen

als auch künstlerisch ambitionierten Bildern konfrontiert. Und das nicht nur auf Bildplattformen wie Flickr, Tumblr oder Instagram, sondern auch im privaten Umfeld – im Zuge der überall angepriesenen Kreativität. Für Fotografen stellt sich unweigerlich die Frage, wie sie auf all die Bilder reagieren sollen, die ihnen im Alltag, vor allem aber im Netz begegnen. Wie sie sich von ihnen unterscheiden können. Wahrscheinlich möchte es niemand so richtig zugeben, aber da herrschen Ohnmachtsgefühle, die es zu überwinden gilt. Oft, indem entweder besonders abstrakt-künstlerisch – etwa in Bezug auf die Auswahl und Konstellation der Bilder – oder, im Gegensatz dazu, mit besonders vielen Bildern – oft mit Bildersammlungen – gearbeitet wird. In dem Versuch,

Bilder

zu erarbeiten, die sich von bereits vorhandenen hinreichend unterscheiden, zeigt sich, wie sehr die Fotografie im Kontext zeitgenössischer Kunst noch dem Paradigma des

Neuen

verpflichtet ist – einem Paradigma, bei dem es auch immer darum geht, sich von früheren Generationen und Stilen abzugrenzen oder sie neu zu erfinden. Man braucht an dieser Stelle wohl nicht zu erwähnen, wie oft deswegen bereits das Ende der Kunst ausgerufen wurde: Weil wirklich alles schon einmal gemacht wurde. Ja, es wird deutlich, wie schwer sich Künstler noch immer damit tun, zu akzeptieren, dass sich Dinge auch wiederholen können – und manchmal sogar wiederholen müssen.

Eine solche Wiederholung ist das Thema einer kleinen und von Florian Ebner kuratierten

Ausstellung

im Folkwang Museum in Essen: "Retouched". Sie zeigt Arbeiten von Bogomir Ecker, Sebastian Riemer und Thomas Ruff in einem neuen Ausstellungsformat des Museums unter dem Titel "6 1/2 Wochen". Dabei handelt es sich um eine Reihe, für die nicht langfristig geplant wird, sondern die vielmehr Spielraum für unmittelbare Reaktionen auf Trends, spontane Ausstellungsideen oder einfach als interessant empfundene Positionen schafft. Mit "Retouched" läuft gerade die zweite Ausgabe des Formats.

In allen Arbeiten ist die vorgenommene Retusche präsent

 Was die drei Künstler Ecker, Riemer und Ruff eint, ist ihre Auseinandersetzung mit Pressefotografien aus den siebziger Jahren, also bereits vorhandenen Bildern, die abfotografiert, collagiert oder

einfach

so ausgestellt werden, wie sie sind. Zudem ist in allen Arbeiten die vorgenommene Retusche präsent – die den Namen für die Ausstellung stiftet und zugleich eine gewisse Nostalgie ausstrahlt, denn obwohl heute mehr denn je retuschiert wird, etwa mittels diverser Apps, ist das lange schon nicht mehr so sichtbar wie noch in jenen Pressebildern der Siebziger. Auffällig ist jedoch, dass Riemer etwa 30 Jahre jünger ist als seine beiden Kollegen. Und wenn ein junger Künstler mit alten Fotografien arbeitet, muss das etwas anderes bedeuten, als wenn ein älterer Künstler sich damit beschäftigt, der die Entstehungszeit der Bilder selbst miterlebt hat.

Ich treffe mich daher mit Sebastian Riemer in der Ausstellung. Unser erstes Gesprächsthema dreht sich ums "Sammeln", das müsse ihn doch interessieren, sage ich, schließlich sind die Fotografien, mit denen er künstlerisch arbeitet, herkömmlicherweise beliebte Sammlerobjekte. Ich denke dabei an die unzähligen Bilder auf Flohmärkten, wobei es sich bei ihnen meistens um Amateurfotografien handelt. In den letzten Jahrzehnten haben viele Künstler derartige Bilder zum Anlass genommen, sich mit dem "Es-ist-so-gewesen" eines Roland Barthes, dem Begriff der Aura eines Walter Benjamin oder dem Tod des Abgebildeten – kurz: mit den Klassikern der Fototheorie – auseinanderzusetzen. Riemer hingegen verliert über Foto- und Medientheorien kaum ein Wort, und das freut mich. Auf Benjamin kommt er trotzdem zu sprechen: Dieser sei auch Sammler gewesen.

In einem kleinen Aufsatz mit dem Titel "Ich packe meine Bibliothek aus" hat Benjamin 1931 seine Sammelleidenschaft in Worte gefasst. Und so wie er vor allem die verschiedenen Erwerbungsarten von Büchern beschreibt, um einen Einblick in das Verhältnis eines Sammlers zu seinen Beständen zu geben, spricht auch Riemer ausführlich über die Beschaffung jener Bilder, die den Ausgangspunkt für seine fotografischen Arbeiten bilden. Diese erfolgt meist über Ebay, sehr viel Zeit verbringe er dort, grinst Riemer. Seine Tasche ist voller Post mit alten Daguerreotypien, die er wenige Tage zuvor auf der Plattform ersteigert hat. Ja, zum Sammeln gehöre bekanntlich auch das Jagen. Und worin ließe sich das Jagdfieber besser ausdrücken als im Werbeslogan: "Drei… zwei… eins… meins!"

Riemer dokumentiert den Ist-Zustand alter Bilder

In seiner Jugend hat Riemer Magic-Karten gesammelt. Irgendwann versteigerte er sie auf Ebay, um mit dem erworbenen Geld seine erste Mittelformat-Kamera zu kaufen. Eine schöne Anekdote. Heute fotografiert er immer noch – meistens bereits vorhandene Bilder oder Kunstwerke. Einige dieser abfotografierten Arbeiten sind auch im Museum Folkwang zu sehen. Etwa das für einen Pressebericht präparierte Foto eines Eiskunstläufers oder einer Akrobatin. Eigentlich mache er Dokumentarfotografie, sagt Riemer. Er dokumentiert den Ist-Zustand dieser alten Bilder.

Es müsse einen guten Grund geben, heute noch Bilder an die Wand zu hängen, sagt Riemer plötzlich. Er meint natürlich die Museumswand. Und welche Gründe könnten das sein, frage ich. Bilder, die er noch nicht gesehen hat. Jetzt bin ich neugierig: Gibt es sie denn doch, Bilder, die die Welt noch nicht gesehen hat? Ja, die gibt es, beginnt er mir zu erzählen. Vor einiger Zeit habe er ein Foto am Bauhaus in Dessau gemacht. Dabei entstand ein Bild, das für ihn neu war. Dafür musste er sogar vor dem Motiv niederknien, raunt er vieldeutig. Wir suchen das Bild auf seinem Handy, weil ich es immer noch nicht so recht glauben will, finden es aber nicht. Tja, die besten Bilder, sagt Riemer, sind doch solche, über die man spricht – ohne sie gesehen zu haben. Und handelt es sich auch bei den abfotografierten Bildern um welche, die er so noch nicht gesehen hat, frage ich schließlich, überrascht von seinem Anspruch. Ich empfinde es als ein romanisches Paradox, dass Riemer Bilder zu ungesehenen erklärt, die längst existieren. Aber er meint natürlich vor allem solche, an denen man sich noch nicht satt gesehen hat.

Darum geht es allen drei Künstlern. Auch Ecker und Ruff kaufen zum Teil bei den gleichen Händlern auf Ebay ein, immer auf der Suche nach etwas Ungesehenem, Besonderem. Die Bilder müssen keinesfalls neu im Sinne von innovativ, wohl aber neu im Sinne von überraschend sein. Darin, nebenbei bemerkt, unterscheiden sie sich auch von der Tradition der Pop Art, die zwar ebenfalls mit Pressebildern gearbeitet hat, sich allerdings jene aussuchte, die besonders populär – und damit vielgesehen waren. Außerdem, sagt Riemer noch, sollen seine Bilder schön sein. Er möchte unbedingt Bilder machen, die man sich auch gerne an die Wand hängt.

Auch im Netz leben Kopien in neuen Gewändern fort

Es gibt noch eine dritte Technik, der Ohnmacht gegenüber dem Gefühl, als Künstler nichts Neues mehr in die Welt tragen zu können, entgegenzuwirken: Neues im Alten suchen oder Altes in neue Kontexte bringen. Und das passiert nicht nur in der Kunst, sondern auch im Netz – wo erst recht eine große Menge an Bildern, Texten und Daten existiert. Auch dort werden Fundstücke immer wichtiger, ob in der Erscheinung eines Memes oder innerhalb einer ganzen Sammlung auf Tumblr oder Instagram. Auch dort ist man stets auf der Suche nach etwas Ungesehenem. Und auch dort leben vor allem Kopien in neuen und damit wieder originalen Gewändern fort – ganz so wie in der Arbeit von Sebastian Riemer, die vor diesem Hintergrund überhaupt nicht vintage oder retro erscheint, sondern explizit zeitgemäß. Auch seine Arbeiten sind, wie Boris Groys einst über Reproduktionen im Internet schrieb, "neue Originale". Etwas anders verhält es sich bei den beiden älteren Kollegen. Während Riemer seine Bildvorlagen dezent, nur durch die Auswahl des Motivs und mit der Entscheidung für eine Bildgröße kommentiert, verfeinert Bogomir Ecker – der vor allem seine Sammlung präsentiert – die Bilder konzeptuell, indem er jene, die ihm persönlich missfallen, übermalt. Und Thomas Ruff geht fast schon bildwissenschaftlich vor, wenn er die Beschriftung der ehemaligen Rückseiten auf die Vorderseite druckt und damit den Entstehungszusammenhang offenlegt.

Wenn auch inhaltlich verschieden, liegen gerade die Arbeiten von Thomas Ruff und Sebastian Riemer – der für mehrere Jahre sein Student war – recht nah beieinander. Ja, sagt Riemer, Bekannte hätten ihm bereits zur erfolgreichen Präsentation seiner Arbeiten auf der Art Cologne gratuliert. Leider hat er da gar nichts ausgestellt – das war Thomas Ruff. Vor einiger Zeit hätte er seinen ehemaligen Lehrer bereits in dessen Atelier aufgesucht und angemerkt, die Leute würden denken, er kopiere ihn. So ist schließlich die Leserichtung: Der Schüler orientiert sich am Lehrer. Da dem nicht so ist, kommt ihm die Ausstellung sehr gelegen, lobend erwähnt er, dass Kurator Florian Ebner es geschafft habe, jene Bilder zu kombinieren, die sich auf dem ersten Blick sehr ähnlich sehen, in der Konfrontation aber stark unterscheiden. Dem kann man nur zustimmen.

An das Paradigma des Neuen hat sich immer auch die Frage geknüpft, wer etwas zuerst in die Welt gebracht hat. Aber dieser Streit kann offensichtlich nicht ganz so leicht gelöst werden.

Zu einem Beitrag über Fototheorie in Bilder: hier. Das Titelbild ist von Sebastian Riemer (»Speed Skater (Leow)«, 2017, 151 x 194 cm, Pigmentprint).

 
 
 

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