Bildkonstellationen | Nicolas Haeni
- annekathrin kohout
- 30. Juli 2015
- 2 Min. Lesezeit
Der Schock sitzt ihnen in den Gliedern, das Blitzlicht im Auge: Schafe, die erschrocken dreinblicken, als ahnten sie, dass im nächsten Augenblick eines ihresgleichen geschlachtet werden könnte. Dass es sich dabei um ein Schwarzweissbild handelt, verstärkt die Dramaturgie der Szene. Der hell aufleuchtende Blitz lässt an eine nächtliche Gräuel-Tat denken.
Die Fotografie könnte Teil einer umfangreicheren dokumentarischen Arbeit über die elenden Zustände der Massentierhaltung sein oder aber ein grundsätzlicherer Appell an die Unwürdigkeit des menschlichen Umgangs mit Tieren. In der Reaktion der Schafe erkennt man sich wieder, sie werden personifiziert, ihnen werden menschliche Emotionen zugeschrieben.
Tatsächlich taucht das Bild jedoch in einem ganz anderen Kontext bzw. Kontexten auf: hier neben einer modifizierten Banane. In dieser Konstellation ändert sich plötzlich das Verhalten der Schafe. Auf einmal schauen sie, als wären sie bei etwas Verbotenem überrascht worden. Als wendeten sie ihren Blick von etwas ab, das möglicherweise nicht entdeckt werden soll. Vielleicht, weil es obszön ist. Vielleicht haben sie in ihrem Futternapf eine Banane liegen und vielleicht ist diese Banane anders als die anderen Bananen: länger. Liest man die Bilder von rechts nach links, ergibt sich eine andere Assoziation: Die Banane wird nun noch eindeutiger zum Zeichen des männlichen Geschlechts, das etwas zu sehr in die Nähe des leicht aus dem Zentrum des Bildes gerückten Schafhinterteils gerät. Geht es bei der Bildkombination gar um die Visualisierung von Sodomie? Nur, wenn man will. Denn bei dem Bildpaar handelt es sich eigentlich um zwei Einzelbilder des Fotografen Nicolas Haeni. Dieser hat seine Website so installiert, dass immer zwei Bilder nebeneinander stehen, die einzelnen Bilder dieser Paare aber durch einen Klick auf das Bilder ausgetauscht werden können. So wird der Besucher der Seite selbst zum Kurator der Bilder. Es macht Spaß, Konstellationen auszuprobieren und Assoziationen freien Lauf zu lassen, fast so wie bei dem Kinderspiel „Mix Max“. Gleichzeitig handelt es sich bei dieser Art von Website um eine interessante Variation dessen, was im Umgang mit Bildern innerhalb der Social Media gerade im Trend liegt. Als eine der beliebtesten Bildplattformen macht Tumblr beispielsweise nicht anderes, als experimentelles Konstellieren zu ermöglichen. Im Kontext der Fotografie widmen sich immer mehr Magazine und Buchprojekte dem Mechanismus des assoziativen Zusammenstellen von Bildern und das auf ganz unterschiedliche Weise: während beispielsweise das Magazin „Der Greif“ den konstellierten Bildern noch etwas Raum gewährt, konfrontiert das Buchprojekt von „Cactus Digitale“ die fotografischen Arbeiten fast schon brutal miteinander. Haeni regt insofern fast schon programmatisch zu etwas an, was sich im Internet bereits als gängige Praxis durchgesetzt hat: dem freien Spiel mit seinen Arbeiten. Er vertritt damit eine Haltung, die der eines Künstlers, welcher sich als Genie versteht, widerspricht. Im Gegenteil: er steht stellvertretend für einen Fotografen-Typus, der keinen Unterschied mehr macht zwischen Kunst- und Auftragsarbeiten und der sich für das Original weniger interessiert als für spannende Reproduktionen und Kontexte. Der seinen Bildern, gerade indem er sie nicht so ernst nimmt, mehr zutraut.
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