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Formverliebtheit im Fotobuch | KubaParis

  Dieser Text ist zuerst auf KubaParis erschienen. Das Fotobuch hat den Manufakturgeist geweckt: aufwendig gestaltet und produziert, entstehen zahlreiche Bücher, die den Bildern nur noch wenig zuzutrauen scheinen. Die Betrachtung eines Beispiels: „The Encyclopedia of Kurt Caviezel“.Airport, Ass, Blind, Coke,Drop, Hiding, Japan, Lighthouse, Massage, No Video, Police, Reflection, Self-Portrait, Voyeurism, X-Mas Tree, Yes. All das und viele mehr sind für „The Encyclopedia of Kurt Caviezel“ ausgewählte Schlagwörter. Das Buch wurde im Mai diesen Jahres anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im foto-forum Bolzano/Bozen publiziert und ist weniger eine Enzyklopädie als ein aufwendig gestaltetes Fotobuch, für das der schweizerische Fotograf Kurt Caviezel mit Nicoló Degiorgis zusammengearbeitet hat. Das Buch startet mit einer Erklärung des Bildmaterials, das den Betrachter im Buch erwartet. Alle Bilder sind Screenshots, die den von Caviezel in den letzten 15 Jahren eigens installierten Webcams entstammen: 15.000 öffentliche Orte, „all over the world“. Aus diesem Material hat er drei Millionen Bilder gewonnen und in Kategorien wie „Coke“ oder „Police“ eingeordnet. Doch bevor die Bilderschau beginnt, schreibt der Berliner Autor Joachim Schmid über die „Geschichte des vernetzten Schauens“. Anfänglich, so erfährt man dort, wurden Webcams installiert, um das vergebliche Flanieren zur Kaffeemaschine zu umgehen, wie es in den Büros der Informatiker üblich gewesen sein musste. Fortan überprüften diese an ihren Rechnern den Kaffeevorrat, wohlgemerkt in einer Zeit, in der es noch Filterkaffe in großen Kannen gab und nicht in Tassen dosiert. Der Zweck von Webcams sei es, so Schmid, „dem Leben das Ungewisse zu nehmen“, das weckt Neugier auf die Sammlung Caviezels, von der man sich plötzliche Erkenntnis erhofft. Die Enzyklopädie beginnt mit A wie Airport und endet mit Z wie Zoo. Dazwischen liegen zahlreiche Begriffe, die reichlich wenig Erkenntnis bringen. Nicht zuletzt, weil nicht klar ist, was hier typisiert wird: Motive, Kameraeffekte oder Blickwinkel? Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt sich auch die Frage, nach welchen Kriterien die Orte für die Kameras ausgewählt wurden, ob die jeweiligen Screenshots ästhetischen Erwartungen entsprechen sollen und ob das ganze womöglich sogar illegal war. Die Adaption des Formats ‚Enzyklopädie‘, das an die Vorstellung von allgemeiner Gültigkeit und Vollständigkeit geknüpft ist, widerspricht der Verwendung eigener fotografischer Arbeiten. Womöglich schleicht sich deshalb das Gefühl ein, die Bilder werden verwendet und geordnet, wie es sonst nur mit Found Footage praktiziert wird und man es beispielsweise von dem Archiv Peter Piller kennt. Auch dort wird wider jeder Logik gesammelt und zusammengestellt: ‚Bedeutungsflächen‘ kann eine ebenso vielsagende Kategorie sein wie ‚Suchende Polizisten‘. Auch bei Piller wird durch die Wiederholung von Banalitäten eine Bedeutung erzeugt. Doch bleibt diese Bedeutung immer auch unbedeutend, indem deutlich angezeigt ist, dass es sich um ein Spiel mit Archivmaterial handelt. Es wird nicht suggeriert, diese Zusammenstellungen könnten die Welt erklären, umfassend sein oder Gültigkeit erlangen. Das Thema Webcams suggeriert sogar eine globale Perspektive auf die Welt. Und nicht nur deshalb erinnert es an ein Buch, das die ebenso aus der Schweiz kommenden Künstler Peter Fischli und David Weiss bereits 2000 publiziert haben: „Die sichtbare Welt“. Dessen Bildseiten-Layout gleicht überraschenderweise dem von „The Encyclopedia of Kurt Caviezel“.   „Die sichtbare Welt“ zeigt nicht weniger als die Welt des Sichtbaren und kommt dabei ganz ohne Ordnungssystem aus. Vielmehr ergeben sich Ordnungen wie zufällig innerhalb der schier endlosen Bildstrecke. Fischli und Weiss geben sich größte Mühe, nicht zu kategorial, stimmig oder durchschaubar zu sein, wenngleich sie ebenfalls mit Ähnlichkeiten arbeiten. Während Caviezel versucht, aus den Aufnahmen banaler Situationen durch Wiederholung das Gefühl von Erkenntnis zu generieren, werden bei Fischli und Weiss selbst die berühmtesten Sehenswürdigkeiten semantisch entleert. Das gelingt, weil das Buch in seiner grafischen Gestaltung so zurückhaltend ist. Jede Seite bleibt gleich, das Papier ist unauffällig, das Softcover ereignislos. Das Layout ist ebenso kommentarlos, wie es keinen erklärenden Text gibt, kein Vorwort und kein Nachwort. Es wird begonnen und geendet mit einem simplen Blick auf irgendeine Straße irgendwo auf der Welt. Ohne formal Erwartungen zu schüren, hat es viel zu sagen: über Bezüge und über die Funktionsweise von Bildern. Dahingegen ist „The Encyclopedia of Kurt Caviezel“ ambitiös gestaltet. Der Hardcover-Einband hat einen Umschlag, der sich zum Poster aufklappen lässt. Die Seiten sind aus rauem Ökopapier und die Typografie erinnert an das alte Schreibmaschinen-Schriftbild. Fast jede formale Entscheidung ist so stark, dass sie interpretiert werden möchte. Und damit liegt das Buch eindeutig im Trend.   Das Fotobuch erlebt in den letzten Jahren Konjunktur. Unzählige Fotobücher werden von den Fotografen selbst oder über einen Verlag publiziert. Fotobuchfestivals und seit letztem Jahr sogar das „PhotoBookMuseum“ huldigen dem Format ‚Buch‘, das sie vom Aussterben bedroht sehen. Fast immer schwingt dabei ein kulturpessimistischer Seufzer mit: Bilder, klassisch auf Papier gedruckt und gebunden, haben einen gesteigerten Wert gegenüber denen im Netz. Ein regelrechter Manufakturgeist plädiert für die gute alte Zeit, in der das Buch noch Buch war. Print ist cool, das erfährt man in den unzähligen Fotomagazinen, die im „do you read me?!“ öfter gelesen, als gekauft werden. Oder aber anhand der eigens gegründeten Verlage, zu denen auch der „Rorhof“ Verlag zählt, in dem Caviezels Enzyklopädie erschienen ist. Rorhof ist ein kleiner Verlag in Italien mit Sitz auf einer alten Farm (so die Selbstbeschreibung) in Bolzano (Bozen), der nicht nur Bücher publiziert, sondern auch Ausstellungen und Workshops organisiert. Alles „around photogrpahy“. Die Leistung von Caviezel, Screenshots von Webcam-Aufnahmen als Fotografien zu verstehen, die ihren Ausgangspunkt in einer neuen Art und Weise des Sehens haben, kann mittels des Formats einer Enzyklopädie nicht transportiert werden. Inhaltliche und fotografische Konzepte werden von der Fokussierung auf das Buchhandwerk und die Materialität überschattet und es drängt sich die Vermutung auf, man würde den eigentlichen Bildern nicht mehr viel zutrauen. Und so werden selbst die schönsten Zusammenstellungen des Buches unscheinbar. Nämlich jene, die der Webcam am nächsten sind: „Lightstripe“, „No Video“ und „Error“. Daher zeigt sich an „The Encyclopedia of Kurt Caviezel“ vor allem eins: es herrscht eine Ratlosigkeit darüber, welchen Wert die vielen Bilder haben, die täglich produziert werden. Und anstatt selbstbewusst die eigenen Bilder oder auch Found Footage so zu inszenieren, dass sie Geltung erlangen, flüchtet man sich in Formverliebtheit. Ergänzende Links zum Beitrag auf KubaParis: foto-forum Bolzano/BozenKurt CaviezelNicoló DegiorgisRorhof Verlag

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