Im Kreislauf der Unterhaltung: Shopping auf Instagram
- annekathrin kohout
- 13. Jan. 2020
- 12 Min. Lesezeit
1. ‚Shopping‘ als popkulturelles Erlebnis Es gibt einen schönen, man kann sagen ‚Erlebnisbericht‘ von David Wagner über sein Online-Konsumverhalten aus dem Jahr 2017. Der in „Die Zeit“ veröffentlichte Artikel trägt den Titel „Das Glück zu kaufen“ und beginnt mit der Beschreibung einer Alltagsszene, die gewiss nicht nur David Wagner so erlebt hat, sondern von der ich glaube, dass sie durchaus repräsentativ ist. Er schreibt: „Oft wache ich morgens auf und frage mich, was ich heute kaufen könnte. Brauche ich nicht eine neue alte Armbanduhr? Einen Bilderrahmen für ein Foto, das ich aus der Zeitung ausgeschnitten habe? Ein Buch? Es ist so leicht, ich muss das Haus nicht verlassen, ich muss nicht einmal aufstehen, ich muss nur nach meinem Telefon, dem iPad oder dem Computer greifen, meine Kaufhäuser liegen heute in der Wohnung herum. Und es gibt fast alles. Alles.“ Wagner will nicht einkaufen, weil er etwas braucht, er will einfach kaufen – und zwar aus Spaß. Ja, er will – und hier bedarf es des englischen Wortes, in dem viel stärker auch die Freude an der Aktivität mitschwingt – ‚shoppen‘. Damit ist ein wichtiger Unterschied markiert, denn während schlichtes Einkaufen eine weniger unterhaltsame, aber notwendige Alltagspraxis beschreibt (die natürlich überdies allerlei soziale Funktionen erfüllt – z.B. Fürsorge, Liebesbekundungen etc. – wie Daniel Miller gezeigt hat (1)), spricht man von ‚Shopping‘, wenn man eine lustvolle und spaßige Freizeitbeschäftigung benennen will (zumindest hierzulande, im englischsprachigen Raum bezeichnet ‚Shopping‘ freilich auch das schlichte Einkaufen). Natürlich versuchen auch Lebensmittelmärkte damit zu werben, dass ein Einkauf bei ihnen eine lustvolle und unterhaltsame Konsumpraktik ist (insbesondere solche, die für die Versorgung der Grundbedürfnisse zuständig sind) – man erinnere sich beispielsweise an die Edeka-Supermarktwerbungen, deren Nähe zu anderen Unterhaltungsmedien der populären Kultur bereits Heinz Drügh in „Die Ästhetik des Supermarks“ offengelegt hat.(2) Tatsächlich ist Konsumkultur durch Werbung immer schon integraler Bestandteil von Unterhaltungskultur: Werbung findet in den gleichen Medien statt wie andere Produkte der Unterhaltungskultur (Plakate, Filme, Events), orientiert sich an den Werkzeugen der Unterhaltungskultur (bestimmten Narrationen, Inszenierungen und Effekten) oder platziert Produkte einfach direkt in Filme oder Serien. Werbung ist Teil der Unterhaltung und Unterhaltung ist immer auch Teil der Werbung. Ohne Unterhaltung kann man schlichtweg nicht werben. Im diesjährigen Weihnachtsclip von Aldi wurde die Liaison von Konsumkultur und Unterhaltung beispielhaft vorgeführt: Filme wie „Home Alone“ und Konsumprodukte wie gefüllte Lebkuchen werden gleichermaßen als „Weihnachtsklassiker“ betitelt – zu recht. Denn sie sind Teil ein und der selben verheißungsvollen Welt.
Ob ein Film oder ein Lebkuchen: Bei beidem spricht man davon, dass es ‚konsumiert‘ wird. In kulturkritischen Schriften wurden Unterhaltungs- und Konsumprodukte lange Zeit sehr ähnlich beschrieben und beurteilt: Sie seien manipulativ, entfremden die Menschen von der ‚realen‘ Welt oder ‚echten‘ Gefühlen. Das mache, so eine gängige Annahme, Konsument*innen passiv und unmündig. In der Popkultur selbst wird bloßes Einkaufen als auch lustvolles Shopping hingegen durchaus als Aktivität – nämlich als eine soziale Technik gezeigt. Der Supermarkt oder die Mall sind soziale Orte, hier lernen sich Menschen kennen und manchmal sogar lieben. Shopping als Technik wurde vor allem in zahlreichen insbesondere US-amerikanischen Filmen, Serien und Sitcoms kultiviert und mit konkreten Ritualen verbunden. So geht man bevorzugt Samstag Nachmittag (manchmal auch nach der Arbeit) shoppen – um sich zu treffen und dabei unterhalten zu werden. Und am Sonntag, dem Ruhetag, wenn Zeit da ist, aber alle Läden geschlossen sind, sehnt man sich nach der Erheiterung des Vortages: „I hate sundays: there’s nothing open except plant stores and bookstores.“, lautet ein berühmtes Zitat von Andy Warhol aus seiner Pop-Art-Philosophie „From A to B and Back Again“.(3) Wie andere Unterhaltungsmedien kann Shopping glücklich machen oder aber, wie ebenfalls Daniel Miller gezeigt hat: Trost spenden.(4) Für Warhol ist Shopping selbstverständlich ein zentraler Bestandteil der populären Kultur, eine Unternehmung also, die viele Menschen sehr gerne tun. Deshalb lohnt es sich auch für ihn, Shopping im Kontext der Pop Art zu ästhetisieren.
2. Analoges und digitales Shopping Aber zurück zu Wagner, der noch eine weitere Beobachtung anstellt, die der Rede wert ist: Aufwachen, im Bett bleiben und direkt shoppen, ohne das Haus zu verlassen – das geht natürlich nur online. Ja, nur online liegen die „Kaufhäuser <…> in der Wohnung herum.“ Auch diese Entwicklung ist gut bekannt: Kaufhäuser und damit auch das Shoppingerlebnis wurden digitalisiert. Seit der Einführung des Online-Shoppings dienen uns die digitalen Endgeräte, ob Computerbildschirme oder Smartphone-Displays, als Schaufenster, in denen Waren mal mehr und mal weniger opulent, mal subtiler und mal direkter präsentiert sind. Der Begriff ‚Display‘ legt die Analogie bereits nahe, und auch David Wagner stellt dem Online-Shopping-Erlebnis das analoge Shopping-Erlebnis gegenüber: Einige Zeilen später im Text beschreibt er, wie er durch die berühmten Pariser Passagen flaniert, die er ein bisschen kokett „die Internet-Kaufhäuser des 19. Jahrhunderts“ nennt. Und er fragt sich: „Was würde Walter Benjamin zu dieser These sagen?“ Um seine analoge Konsumerfahrung zu veranschaulichen, wählte er also nicht zufällig die Pariser Einkaufspassagen. Vielmehr spielt er damit gezielt auf Walter Benjamin und sein Passagen-Werk an – in dem nicht nur die Frage aufgestellt wurde, ob die Pariser „Passagen als Ursprung der Warenhäuser“(5) anzusehen seien, sondern diese außerdem zum Anlass genommen wurden, umgleichermaßen über Unterhaltungsmedien wie „Panoramen, Weltausstellungen“ und Konsummedien wie „Beleuchtungsarten und Reklame“ nachzudenken.(6) Wenn Wagner aber fragt, was Benjamin zu der These sagen würde, dass die Pariser Passagen die „Internet-Kaufhäuser des 19. Jahrhunderts sind“, sprich, dass der heutige Internethandel auf Plattformen wie amazon.com in direkter Tradition von ‚analogen‘ Handelsgeschäften steht, dann waren ihm wahrscheinlich – mehr noch als das Passagen-Werk – Benjamins Überlegungen zur Aura im Sinn. Denn die Frage ist als ein Augenzwinkern zu verstehen, da man ihre Antwort bereits erahnt: Natürlich hätte Benjamin die Passagen als ‚Original‘ klassifiziert, während Amazon eine Welt der Reproduktionen darstellt, die lediglich Bilder von Objekten zeigt und nicht die Objekte selbst. Eine Welt, in der die Aura verschwunden ist, die nämlich nur dem Original – nicht aber der Kopie zu eigen ist. Ein Grund für den ‚Verlust der Aura‘ ist laut Benjamin, dass das Original eine einmalige Erscheinung, die Reproduktion hingegen wiederholbar sei. Das lässt sich leicht auf mein Beispiel übertragen: Das analoge Konsumerlebnis, ich gehe in ein Kaufhaus, mir begegnen Menschen, die Produkte sind auf eine bestimmte Weise arrangiert, eine Verkäuferin bedient mich etc. – bereits wenige Minuten später kann alles anders sein, andere Menschen kommen und gehen, Produkte wurden verstellt oder in ein anderes Licht gerückt, eine neue Verkäuferin hat ihren Dienst angetreten. Auch beim Online-Shopping kann es freilich zu Veränderungen kommen, etwa wenn neue Produkte eingestellt werden, allerdings sind diese Veränderungen geringer, die Bilder der Produkte bleiben gleich, insofern ich von zuhause aus bestelle, finden keine zufälligen und einmaligen Begegnungen statt usw. Trotzdem können sich z.B. angezeigte Werbebanner ändern. Außerdem versuchen Online-Anbieter mit täglichen Sales die fehlende Einzigartigkeit des Erlebnisses zu kompensieren. In vielerlei Hinsicht ähnelt also das digitale Konsumerlebnis seinem analogen Vorgänger: Mit – wie Wolfgang Ullrich es formuliert hat – „Fiktionswerten“ ausgestattete Konsumgüter sind – wiederum möglichst aufregend inszeniert –in einem eigens dafür vorgesehenen Raum (Laden oder Website), den man in seiner Freizeit zwecks dieser Unterhaltung aufsucht. Außerdem: Offline wie online sind – mit Heinz Drügh gesprochen – „Konsumpraktiken <…> Orte gemeinschaftlicher Imagination.“(7) Mit der Etablierung Sozialer Medien und der darin eingebetteten Shopping-Funktionen hat sich aber unser Konsumerlebnis verändert, sowohl Unterhaltungsformate als auch das Konsumerlebnis sind einzigartiger und sozialer als je zuvor. Mit sozial meine ich an dieser Stelle: man bringt sich aktiv in ein gemeinschaftliches Geschehen ein. Man ermöglicht anderen, am eigenen (Konsum-)Erlebnis zu partizipieren und partizipiert umgekehrt an dem der anderen. 3. Social-Media-Shopping Was bedeutet Social-Media-Shopping und worin unterscheidet es sich vom Online-Shopping? Ich möchte diese Frage am Beispiel der Plattform Instagram beantworten, weil es das Soziale Netzwerk ist, das am stärksten mit Shopping assoziiert wird. Zwar gibt es auf jeder Plattform Influencer*innen, auch Werbung ist überall eingebettet, auf Instagram ist jedoch, anders als bei Facebook oder Twitter, die Shopping Funktion selbst integriert.
Vorab muss wohl gesagt werden: Die Instagram-App öffnet man meistens , um zu shoppen. Man öffnet sie, um die neuesten Beiträge von Freunden, Bekannten, Prominenten oder sonstige News anzusehen. Auf einer Plattform wie Instagram shoppt man nicht gezielt, geschweige denn hauptsächlich – sondern nebenbei, manchmal sogar versehentlich.Die Produkte kommen zu mir, ich bemühe mich nicht eigens um sie, sondern finde sie höchstens zufällig in meinem Feed. Diese Beobachtung könnte Ihnen bekannt vorkommen: Die Unterscheidung, ob die Welt zu einem kommt, oder man selbst zur Welt, wurde wiederholte Male vorgenommen, um Original und Reproduktion voneinander zu unterscheiden und die Massenmedien und deren Rezipienten zu charakterisieren. Im Wortlaut heißt es etwa bei Günther Anders, in „Die Antiquiertheit des Menschen“: „Wenn die Welt zu uns kommt, statt wir zu ihr, so sind wir nicht mehr ‚in der Welt‘, sondern ausschließlich deren schlaraffenlandartige Konsumenten“.(8) Aber ist das tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal für das Social-Media-Shopping? Gilt das nicht ebenso für das Online-Shopping, welches man gemütlich von Zuhause aus machen kann, und dann kommen die Produkte mit der Post in die Wohnung geflattert? Ja, besteht nicht die Funktion des Internets ingesamt darin, dem Verbraucher Informationen nach Hause zu liefern? Gegen diese typologische Unterscheidung wendete bereits Boris Groys ein, dass „man aber nicht aus den Augen lassen , daß der Internet-Surfer <…> die einzelnen Orte des Internets, die Websites, weniger abruft, als vielmehr ‚besucht‘.“ Jede URL sei eine eigene Adresse, für die Internet-Nutzer eigens ‚anreisen‘. So gelangt Groys zu der zunächst durchaus berechtigten These, dass „wir <…> im Netz eine Rückkehr des Originals .“(9) Ein Aspekt ist in meinen Augen besonders interessant an der These von Groys, wohl ohne, dass er es selbst bemerkt hätte: Genau genommen bedeutet seine Aussage, dass die Frage nach dem Original und der Kopie, nach der Aura und ihrem Verlust keine Frage der Medialität ist. Dass nicht zwangsläufig jedes medial vermittelte Objekt und jede medial vermittelte Erfahrung ‚unechter‘ ist, als das- bzw.- diejenige, die uns unmittelbar umgibt. Ich kann im Netz genauso originäre und auratische Erlebnisse haben – zum Beispiel Konsumerlebnisse – wie im analogen Supermarkt. Allerdings bietet Groys keine alternative Unterscheidung an. Was macht denn nun eine bestimmte Erfahrung ‚echt‘? Ich würde sagen: Das man Teil davon ist, an einer Situation partizipiert, interagiert. Die Frage nach dem Original und der Kopie, nach der Aura und ihrem Verlust ist demnach eine Frage der Interaktionsmöglichkeiten. Ist aber an dem, was ich sage, etwa Wahres dran, dann ist weniger das klassische Online-Shopping, sondern vielmehr das Shopping in den Sozialen Medien vergleichbar mit dem analogen Konsumerlebnis. Social-Media-Shopping ist sogar noch partizipativer und interaktiver, als es das analoge Shopping überhaupt möglich machen könnte. Groys konnte das 2003, als er seinen Text schrieb, natürlich nicht wissen, da es die Sozialen Medien in ihrer heutigen Gestalt noch nicht gab. Aber nun zur Startseite, dem Feed. Im Feed sammeln sich Kontakte und Interessen, Inhalte von befreundeten Personen, aber auch von solchen, die man kaum kennt. Außerdem Inhalte von Zeitungen, Zeitschriften, Blogs und natürlich sehr viel Werbung. Feeds vermitteln ihren Nutzer*innen das Gefühl, einen Überblick zu erhalten und gleichzeitig etwas ganz Spezielles oder Persönliches zu erfahren. Vor allem aber ist der Feed der wichtigste Austragungsort für das soziale Leben im Internet. Insbesondere der Instagram-Feed ähnelt dabei durchaus einer belebten Einkaufsstraße: Andere Menschen ‚fließen‘ als Daten an uns vorbei, manchmal trifft man aber auch Bekannte oder sogar Freunde, mit denen man kurz chattet – sprich: einen Small-Talk hält –, und ein schönes Schaufenster – sprich: ein gesponserter Beitrag – lädt Nutzer*innen hin und wieder ein, ins Geschäft zu sehen (dem Link zu folgen) und eventuell sogar etwas einzukaufen. Durch die Funktion des »Infinite Scroll«, mit dem Daten unendlich weiter geladen werden können, wurden und werden Nutzer*innen für eine lange Zeit auf der Seite gehalten und zum ‚surfen‘ – sprich: flanieren oder bummeln – eingeladen. In Benjamins Passagen-Werk stößt man auf folgende Notiz: „Sie ist nur geile Straße des Handels, nur angetan, die Begierden zu wecken. Weil in dieser Straße die Säfte stocken, wuchert die Ware an ihren Rändern und geht phantastische Verbindungen wie die Gewebe in Geschwüren ein. - Der Flaneur sabotiert den Verkehr. Er ist auch nicht Käufer. Er ist Ware. <…> mit der Gründung der Warenhäuser <…> steigert sich das circensische und schaustückhafte Element des Handels ganz außerordentlich.“(10) Unterhaltend sind hier zunächst einmal die Menschen selbst, die zum Beispiel flanieren – natürlich um sich zu zeigen. Das erinnert sehr stark an das Shopping-Erlebnis in den Sozialen Netzwerken, man besucht sie zunächst, um andere zu betrachten und sich umgekehrt selbst zu zeigen: Das ist der Reiz des Shopping-Erlebnisses. Produkte begegnen einem auf Instagram auf verschiedenste Weise. Zum einen gibt es die erwähnten „gesponserten Beiträge“. Diese Form kommt am ehesten der klassischen Plakatwerbung oder dem Schaufenster nahe – mit dem Unterschied, dass sich hinter dem Beitrag ein Link zu einer externen Website verbirgt, wo direkt eingekauft werden kann. Ein weiterer Unterschied zur klassischen Werbung ist, dass die Plakate überwiegend jene Konsument*innen erreichen, die auch potentiell Interesse an dem Produkt aufweisen, da sie auf Grundlage der persönliche Daten überhaupt im eigenen Feed angezeigt werden. Dann haben natürlich Unternehmen auch eigene Profile, auf denen die Produkte in zum Teil aufwendigen Inszenierungen ins Bild gesetzt werden.Ohnehin produzierte Editorials und eigens für die Sozialen Medien erzeugte Werbeinhalte wechseln sich ab.
Oft werden Impulse aus der Community aufgegriffen oder sogar eigene Kampagnen entwickelt, die zur Partizipation und damit auch zur Stärkung der Community dienen sollen.
Der Großteil von Produkten erreicht die Nutzer*innen allerdings über Influencer*innen sehr verschiedener Reichweiten.Ursprünglich in den Anfangszeiten Sozialer Medien als Privatpersonen online gegangen, um Freunde und Bekannte am eigenen Leben teilhaben zu lassen (aus der Herkunft beziehen sie noch bis heute ihre vermeintliche „Authentizität“), sind professionelle Influencer*innen heute nicht nur Personen des öffentlichen Lebens und damit auch wichtige Markenbotschafter*innen und Werbeträger*innen, sondern sie sind auch sogenannte „Content Creators“. Als solche ist es ihre Aufgabe, wenn sie denn ein populäres Profil betreiben wollen, ihre Person, ihr Leben, ihre Arbeit in eine unterhaltsame Narration zu überführen, die möglichst viele Menschen zum Folgen verleitet. Sie sind, könnte man zugespitzt sagen, mal mehr und mal weniger talentierte Regisseure ihres mal mehr und mal weniger inszenierten Alltags- und/oder Arbeitslebens. Auch Unternehmensprofile beteiligen sich an den Narrationen der Influencer*innen, indem sie gezielt versuchen, eine verbindliche Marken-Community aufzubauen. Das gelingt ihnen mit vereinenden Hashtags wie #GanniGirls oder #BaumFamily, unter denen verschiedene Influencer*innen eine vielleicht nicht bluts- aber doch stilverwandte Clique bilden. Außerdem durch die Initiierung von gemeinsamen Veranstaltungen: Mit Events wie Abendessen oder sogar gemeinsamen Ausflügen werden Rahmenhandlungen geschaffen, die Influencer*innen individuell ausgestalten. Diesen Sommer hat beispielsweise das Modelabel „Baum und Pferdgarten“ eine ausgewählte Gruppe sehr populärer Influencer*innen über ein Wochenende in das urige und natürlich ebenfalls zu bewerbende Hotel Hornbækhus nach Dänemark eingeladen. In unzähligen Fotos und Stories der Beteiligten konnte man die Aktivitäten aus verschiedensten Perspektiven verfolgen. Auch Jessie Bush, die unter dem Profilnamen „wethepeoplestyle“ für aktuell rund 420000 Follower bloggt, war eingeladen. Unter einem ihrer in Dänemark geschossenen Fotos schrieb sie: „MTV Cribs, the Danish edition“ und hat mir damit einen interessanten Hinweis gegeben, wie Instagram auch betrachtet werden kann: Nämlich als Fortführung des Reality-TV. Der Vergleich ist deshalb sehr naheliegend und weniger abwegig, als er auf den ersten Blick zu sein scheint, als einzelne Instagram-Accounts und Instagram-Communities durchaus eine Art Reality-Show darstellen, die nur in neuem Format erscheint und folglich auch anders rezipiert wird. Denn was ist Reality-TV? Unter Reality-TV versteht man non-fiktionale Unterhaltungssendungen im Fernsehen, die durch eine dokumentarische Präsentationsweise – triff auf Instagram zu –, Soap-artige Erzählweisen sowie Konfliktstrukturen – trifft auf Influencer*innen zu –, Emotionalität und stereotypisierte Rollenverteilungen, die durch künstlich geschaffene Rahmenhandlungen erzeugt werden (bspw.Dschungelcamp) – trifft zu, wie am Beispiel Baum und Pferdgarten gezeigt –, gekennzeichnet sind. Hier durchdringen sich also Unterhaltungsmedien (Reality-TV) und Konsummedien (Inszenierung von Influencerinnen) auf völlig neue Weise. Wenn ein Unternehmen in Influencer*innen investiert – könnte man nun meinen – dann ist das dementsprechend vergleichbar mit dem klassischen Product Placement in Film und Fernsehen. Allerdings geht es in vielerlei Hinsicht weit darüber hinaus. Durch die Möglichkeiten der Interaktion und Partizipation gibt es einige Grenzauflösungen, die die Sozialen Medien begünstigt, teilweise sogar eigens erzeugt haben: Im Bereich der Konsumkultur spricht man lange schon in Bezug auf die Gestaltung von Produkten von „Prosumern“. Im Bereich der Unterhaltungskultur ist nun ebenfalls das Zusammenfallen von „Konsumieren“ – also dem passiven Betrachten – und „Produzieren“ von Inhalten, die andere wiederum als Zuschauer*innen betrachten, festzustellen. Nutzer*innen folgen Baum und Pferdgartens Reality-Show, kaufen deren Sachen, inszenieren sich selbst damit, um ihren Follower wiederum eine Show zu bieten – und gleichzeitig Teil der ‚großen Erzählung‘ zu werden, die das Label vorgegeben hat. (Diese ‚große Erzählung‘ vereinfacht wiederum die Partizipation und Selbstinszenierung der Konsument*innen.) Es entsteht also eine Art Kreislauf der Unterhaltung. Die Auflösung der Grenze zwischen Darsteller*innen und Zuschauer*innen geht aber noch weiter. Jede*r Darsteller*in sieht sich selbst als ‚authentisch‘, als nicht-darstellend; umgekehrt sieht sich jede*r Zuschauer*in selbst als Darsteller*in, als ‚inszeniert‘. Auch die damit verbundenen Tätigkeitsfelder überlappen sich: Shoppen ist werben und werben ist shoppen. Heutige professionelle Influencer*innen täuschen nicht über ihre Arbeit hinweg. Dass sie professionell shoppen gehen und konsumieren, ist wesentlicher Bestandteil der Narration. Beim Shopping befragen Influencer*innen ihre Follower, was sie einkaufen sollen – natürlich werben sie damit zugleich für die entsprechenden Produkte.
Diese Werbung ist dann auch für viele entsprechend verheißungsvoll – so sehr, dass immer mehr Beiträge mit dem Hashtag #werbung versehen sind, die einer solchen Zuordnung gar nicht bedürfen (weil es sich nicht um Werbung handelt). Auf die Follower wirken aber längst nicht mehr nur die angepriesenen Produkte verheißungsvoll, sondern mehr noch ihre Inszenierungen, welche längst durch Hashtags, Namen oder ganze Narrative in Form gebracht sind. Man muss entweder an ihr partizipieren können (z.B. durch entsprechende Tools zur Interaktion (wie Umfragen) oder schlicht die Möglichkeit der Kommunikation), oder sie regt sogar zur eigenen Ausgestaltung des Formats an: Warum nicht einmal selbst einen „Shopping Haul“ oder ein „Unpacking Video“ für die Story machen? Shopping ist in Sozialen Netzwerken demnach immer auch gleich Werbung, und beides ist Bestandteil eines neuen Unterhaltungsformats, das zwar beispielsweise dem Reality-TV ähnlich ist, aber zugleich ganz andere Betrachtungsweisen erfordert. Denn Konsum als Unterhaltung, in seiner neuen sozialen Funktion, findet längst nicht mehr überwiegend in der Freizeit statt. Vielmehr shoppen und schauen, inszenieren und interagieren wir zwischendurch, immer mal wieder und dadurch zugleich permanent, den Alltag stärker durchdringend als bisher.Anmerkungen (1) Vgl. Daniel Miller: Der Trost der Dinge, 2010. (2) Heinz Drügh: Ästhetik des Supermarkts, 2015. S. 15. (3) Andy Warhol: The Philosophy of Andy Warhol: From A to B and Back Again, 1975. S. 133. (4) Vgl. Daniel Miller: Der Trost der Dinge, 2010. (5) Walter Benjamin: Passagen-Werk, 1982. S. 87. (6 ) Benjamin S. 15 (Einleitung des Herausgebers). (7) Heinz Drügh: Ästhetik des Supermarkts, 2015. S. 15. (8) Günter Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, in: Michael Grisko (Hg.): Texte zur Theorie und Geschichte des Fernsehens, 2009. S. 111. (9) Boris Groys: Die Topologie der Aura, in: Ders.: Topologie der Kunst, 2003. S. 42 (10) Benjamin S. 93. Literatur Günter Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, in: Michael Grisko (Hg.): Texte zur Theorie und Geschichte des Fernsehens, 2009. Walter Benjamin: Passagen-Werk, 1982. Heinz Drügh: Ästhetik des Supermarkts, 2015. Boris Groys: Die Topologie der Aura, in: Ders.: Topologie der Kunst, 2003. Daniel Miller: Der Trost der Dinge, 2010. Andy Warhol: The Philosophy of Andy Warhol: From A to B and Back Again, 1975.
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