Arno Beck 🦾 Inspector Gadget
- annekathrin kohout
- 21. Feb. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Erinnern Sie sich noch an Inspector Gadget? Den Helden der gleichnamigen Zeichentrickserie aus den 1980er-Jahren? Onkel Gadget, wie ihn seine clevere Nichte immer liebevoll zu nennen pflegte, war auf den ersten Blick ein etwas weltvergessener Polizeiinspektor, auf den zweiten allerdings ein mit allerlei Technik ausgestatteter Cyborg. Auf den Befehl „Go-Go-Gadget“ konnte der Inspektor Arme, Beine und Hals wie Teleskope ausfahren, die in den Fingerspitzen befindlichen Werkzeuge (z.B. Taschenlampe, Laser, Bohrmaschine oder Schneemaschine) aktivieren oder seine Ohren in große Metall-Hörmuscheln verwandeln. Allerdings funktionierten die Gadgets nicht immer wie gewollt, was oft auch an den unbeholfenen Ausführungen lag, doch am Ende ging alles gut, der Fall konnte gelöst und die Nichte Sophie gerettet werden.
Wer in den 1980er- und 1990er-Jahren aufgewachsen ist, dürfte in Inspektor Gadget die eigenen Erfahrungen im Umgang mit den ersten Computerwerkzeugen wiederentdecken können – insbesondere solche, die spielerisch in frühen Grafik- und Zeichenprogrammen wie MicrosoftPaint zum Einsatz kamen: Mit dem Mauszeiger, der als Erweiterung der eigenen Hände auf dem Bildschirm fungierte, konnte man Dateien anfassen und bewegen, außerdem eine Reihe von weiteren Werkzeugen ansteuern. Per Klick ließen sich beliebige Formen auswählen, dünne oder dicke, grafische oder malerische Striche setzen, Flächen ausfüllen oder leeren.
Die Benutzeroberfläche solcher Grafikprogramme sowie ihre Werkzeuge sind ein wiederkehrendes Motiv in der Arbeit von Arno Beck. Bilder wie Windows I oder Windows II bringen sowohl die damalige Verheißung solcher Kreativitäts-Softwares als auch das individuelle Scheitern daran zur Anschauung: Nie zuvor war es so leicht, sich künstlerisch zu betätigen, kein Bespannen von Leinwänden oder Abmischen von Farben war mehr nötig, und jeder Fehler – alles, was nicht gefiel – konnte im Handumdrehen rückgängig oder mit dem Radierwerkzeug mal eben entfernt werden. Allerdings machen die Werkzeuge allein kein gutes Bild. Was Dave Armitage, ehemaliger Präsident der Computer Power Inc. bereits 1977 über den Computer sagte – von dem sich damals niemand vorstellen konnte, zu was er nützlich sein sollte –, gilt auch für etwaige Programme, nämlich dass diese immer so beschränkt oder vielseitig seien wie deren Benutzer: „The uses of a machine like this are limited only to the user’s imagination.“
Es dürfte unzählige User gegeben haben, die reichlich frustriert die Bilder und Formen und Striche hin- und hergeschoben haben, ohne dass dabei ein Resultat entstanden wäre. Vielmehr führten die vielfältigen Möglichkeiten zur Verselbstständigung der Bildelemente, die sich dem eigenen Gestaltungswillen widersetzten: Wohin mit der Venus von Milo? Vielleicht noch etwas orangefarbenen Airbrush darüber? Wie wäre es mit ein wenig Unschärfe? Oder ist doch alles nur „Trash“, wie das vertraute Mülleimer-Icon in der linken unteren Bildhälfte von Windows I anzudrohen scheint? Bei vielen blieb das Arbeiten mit Paint daher auch eine bloße Spielerei, die Bilder wurden schlichtweg nicht fertig, aber darum ging es auch nur selten. Es ging um den Prozess der Kreativität selbst, um das Experimentieren auf einer grauweiß karierten Möglichkeitsfläche.
Arno Becks Arbeiten sind fertige Bilder dieser ewig unfertigen Experimente. Seine Motive verweisen auf die Prozessualität, sie sind Relikte einer sich ständig in Veränderung befindlichen, nie vollendenden Kultur der Digitalität. Relikte, weil sie – sei es in Öl auf Leinwand oder in Siebdruck auf Glas oder in Blockdruck auf Japanpapier – zu einem Abschluss gelangt sind und so der Variabilität entzogen wurden. Die ihnen inhärente Affordanz, die wiederum vielfach als ein wichtiges Merkmal der digitalen Kultur herausgestellt wurde, ihr Angebots- und Aufforderungscharakter bleibt allerdings nicht nur erhalten, sondern wird eigens zum Thema von Becks Arbeiten. Denn gerade in diesem Innehalten, im Stillstand, in der Unmöglichkeit, den Mauszeiger zu bewegen, eine bestimmte Form zu setzen oder wieder zu löschen, gerät dessen ursprünglicher Sinn und Unsinn ins Bewusstsein. Man ist deshalb zu Recht geneigt, von Arno Beck als Post-Digital- oder Post-Internet-Künstler zu sprechen, wenngleich ihm diese allein wegen seiner Auseinandersetzung mit der digitalen Kultur und der Aneignung technisch generierter Bilder durch den menschlichen Künstler zugeteilte und zudem eher unscharfe und teilweise irreführende Schublade keinesfalls gerecht wird. Zum einen, weil Beck vielfach an vordigitale Traditionen der bildenden Kunst anknüpft, was schnell in Vergessenheit gerät, wenn vom (Post-)Digitalen die Rede ist, zum anderen, weil „post“ immer eine gewisse Nachträglichkeit suggeriert. Die ist den Arbeiten zwar durch die Materialisierung von nichtmateriellen Informationen zunächst einmal zu eigen, aber die materialisierten Bilder bleiben weiterhin Teil der digitalen Kultur und besitzen dort sogar eine eigene Daseinsform mit eigenen Zirkulations- und Rezeptionsweisen. Gerade Beck ist ein gutes Beispiel dafür, welches Begehren haptische Bilder auch im Social Web auszulösen vermögen, Fotografien seiner Malereien und Drucke in Ausstellungsräumen erhalten auf Instagram mehrere Hunderte und Tausende Likes, konnten eine Community um sich bilden: eine Anhängerschaft, die nicht mehr nur als Rezipienten, sondern eher als Fans zu klassifizieren sind.
Ein Großteil der Bilder Becks beschäftigt sich selbstreflexiv mit der künstlerischen Arbeit, indem sie auf nichts geringeres anspielen als auf die Ikonografie der schaffenden Hände. Besonders wenn Becks Mauszeiger nicht als Pfeil, sondern als Hand in Erscheinung tritt, wird die Parallele zur sogenannten „Hand Gottes“ deutlich, deren nicht gerade bescheidene Aussage war: Wie Gott die Welt erschuf, so erschafft der Künstler sein Werk. Als Schnittstelle zwischen Geist und Material sollten die Hände das Rätsel um die Genialität des Künstlers und das sein Werk umgebende „Je ne sais quoi“ lösen. Gilt der Zeigefinger in Michelangelos Fresko Die Erschaffung Adams als Sinnbild künstlerischer Schöpfung, wird doch damit einer seelenlosen Materie zum Leben verholfen, ist der digitale Maus-Zeigefinger von Arno Beck als ein pythonesker Kommentar auf die pathetische Aufladung des künstlerischen Schöpfungsprozesses zu verstehen. Wie die Figuren aus Monty Python and the Holy Grail oder Inspector Gadget wirkt auch der Mauszeiger in vielen Bildern von Beck der Situation entrückt, ist eher des- als zielorientiert. Verband sich mit der Hand oft die Vorstellung von Materialität und Individualität, stellt sich mit dem Cursor die Frage, ob und wenn ja wie determiniert kreative oder künstlerische Arbeit von Digitaltechnik und Computerprogrammen ist.
Insofern kann es als Verneinung und Rückeroberung gedeutet werden, wenn Arno Beck den digitalen Motiven nicht nur analog und mit traditionellen Techniken, sondern zudem mit großem Aufwand begegnet. Während Softwares wie Paint oder Photoshop suggerieren, Bilder zu machen sei gar nicht so schwierig, außerdem schnell – in nur wenigen Klicks – umzusetzen, entzieht sich Beck den digitalen Standards von Effizienz und Geschwindigkeit. Anstatt eines schnellen Screenshots oder per Abspeichern des digital entworfenen Bildes erzeugt er seine Arbeiten mithilfe schwieriger Reproduktionstechniken: etwa wenn er die digitalen Aufnahmen zunächst dekonstruiert und in eine vereinfachte Rastergrafik umwandelt, um diese daraufhin wieder analog zusammenzusetzen, indem er per Hand Tausende gleich große Holzstücke in Vorbereitung auf das Blockdruckverfahren zurecht sägt, damit die gewünschte Anzahl an Farben erreicht werden kann. In solchen Verfahrensweisen wird die Zeit selbst zum Werkstoff, ja geradezu in die Arbeiten einmassiert, und trägt damit wesentlich zur Qualität, Autonomie und Einzigartigkeit des Bildes bei.
Der spielerische Umgang mit verschiedenen Werkzeugen, zu denen sonst Grafikprogramme aufgrund ihrer einfachen Auswahl anregen, treibt Arno Beck auch im Realen um. Er wechselt seine Gadgets wie Zeichenstifte im Grafikprogramm. Ob Plotter, Pressen, Drucker, Schreibmaschinen, Sprühgeräte oder Messer: Bei seinen Arbeiten kommen verschiedene Werkzeuge zum Einsatz, in den jüngsten beispielsweise die Airbrush-Pistole und eine Zeichenstift-Plottermaschine, die er auf Instagram liebevoll „mein Studioassistent“ nennt. Dabei erscheint Arno Beck ein bisschen wie Inspektor Gadget – mit dem Unterschied, dass er seine Hilfsmittel hochgradig professionell beherrscht.
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Dieser Text wurde im Katalog "Arno Beck. Down the Rabbit Hole" veröffentlicht. Er ist von Stephan Berg herausgegeben und bei Hatje Cantz erschienen. Neben meinem Beitrag gibt es Texte von Falko Alexander, Stephan Berg und Anna Meinecke. Außerdem natürlich eine hervorragende und umfangreiche Auswahl der Arbeiten Arno Becks. Er kann hier angesehen und/oder bestellt werden.
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