Erwin, komm doch endlich ins gemachte Bett!
- annekathrin kohout
- 11. Apr. 2016
- 5 Min. Lesezeit
Als Erwin Wurm in den 90er Jahren mit den „One-Minute-Scupltures“ begann, definierte er damit den Skulpturen-Begriff neu. Anders als in vielen Arbeiten seiner Kolleg/Innen, die sich selbst zu Ausstellungsobjekten machten - ein frühes Beispiel stellt Timm Ulrichs Selbstausstellung 1961 dar („Erstes lebendes Kunstwerk“) - blieb sich Wurm seiner Rolle als Bildhauer treu und modellierte: mit Handlungsanweisungen, Gegenständen und den Ausstellungsbesuchern. Letzteren stellt Erwin Wurm meist weiße Podeste und Alltagsobjekte bereit, mit deren Hilfe die beigelegten Handlungsanweisungen - bestehend aus kleinen Zeichnungen und kurzen Kommentaren - ausgeführt werden können und den Betrachter somit zur temporären Skulptur werden lassen.
Diese Neudefinition von Bildhauerei war ein klassisch avantgardistischer Gestus, richtete er sich doch gegen die Kontemplation des Betrachters vor den Kunstwerken im White Cube und setzte ihm eine Interaktion mit ihnen entgegen. Das Resultat dieser Interaktion war, dass der Betrachter zum Kunstwerk wurde, wenn auch nur für eine Minute. Er sollte spüren, wie sich das anfühlt: von Besuchern angeschaut zu werden und in eine Beziehung zu anderen Werken des Museum gestellt zu sein. Wie ist das, wenn man kein Subjekt mehr ist, sondern ein Objekt? Gleichzeitig ging es um Inszenierung, die Bewältigung von Scham und dem Scheitern an diesen Vorhaben. Fast hören sich die One-Minute-Sculptures nach einer Aufwärmübung für die nur wenige Jahre später durchschlagenden Aktivitäten im Web 2.0 an, für das Interaktion, Selbstinszenierung und Prosumerism zu zentralen Schlagworten der Beschreibung wurden.
Bis in die zweite Hälfte der 00er Jahre dokumentierte Erwin Wurm seine One-Minute-Sculptures fotografisch. Dabei handelte es sich einerseits um eine kluge Verkaufsstrategie, ließen sich so auch Varianten des Werkes in verschiedenen Preiskategorien herstellen. Zugleich konnte es aber als eine inhaltliche Ergänzung zur Musealisierung des Betrachters interpretiert werden: schließlich machte auch die Fotografie das Subjekt zum Objekt, den Fotografierten zur „Statue“, so beschrieben es zumindest populärere Fototheoretiker wie etwa Roland Barthes in der „Hellen Kammer“.
Doch das Fotografieren stellte Erwin Wurm ein, als seine Werke eine unüberschaubare Menge an Nachahmern fanden. Viele der Arbeiten waren in ihrer Einfachheit echte Kick-Off-Bilder, das heißt, sie wirkten inspirierend auf ihre Betrachter und regten regelrecht zum Nachstellen - vor allem aber auch zum Variieren - an. Begünstigt war dies nicht zuletzt dadurch, dass die Alltagsgegenstände, welche Wurm für seine One-Minute-Sculptures bereithielt, für Jedermann zugänglich waren und sich in den meisten Haushalten ohnehin befanden. Anfangs verfolgte Wurm viele der Nachstellungen strafrechtlich. Etwa, als die Band „Echt“ in ihrem Musikvideo „Stehengeblieben“ einige seiner Anweisungen umsetzte. Zugleich finden sich in dem Film aber auch viele sehr freie Interpretationen. Das Gericht verurteilte die Band letztlich zu einer Geldstrafe - das Video durfte allerdings weiterhin ausgestrahlt werden.
Ging es ursprünglich gerade um eine Negation des Originals - das es ja bei den One-Minute-Sculptures gar nicht geben konnte, sondern lediglich Ausführungen und letztlich auch Variationen - geriet der avantgardistische Gestus Wurms schnell an seine Grenzen. Als sich erfüllte, wovon der sich dem klassischen White Cube widersetzende Geist einst zeugte, machte er einen Rückzieher. Wurm hörte auf zu fotografieren und zog sich gänzlich in den Ausstellungsraum zurück. Bis heute gelten nur noch die Interpretationen als seine Werke, die alle Handlungsanweisungen exakt ausführen - und das an dem von ihm ausgewiesenen Ort.
Tatsächlich ist dieses Verhalten jedoch kein Widerspruch. Denn Erwin Wurm ist kein Avantgardist und möchte auch keiner sein. Er hatte lediglich die Notwenigkeit avantgardistischer Gesten in der zeitgenössischen Kunst erkannt, die zu einem Erfolg auf dem Kunstmarkt wesentlich beitrugen. Insofern ist Erwin Wurm der Vertreter einer Generation von Künstlern, die sich nur als professionalisiert beschreiben lassen. Die Avantgardismus als Technik verstehen, genauso wie Überlegungen zur Erzeugung von verkäuflicher Ware. Ein gutes und ertragreiches Werk sieht so aus, als wolle es keines mehr sein, wirft aber trotzdem noch genügend „Relikte“ ab, die sich im Nachhinein käuflich erwerben lassen.
Das schmälert die Kunst von Erwin Wurm zwar nicht, er ist dennoch ein Meister absurder Konstellationen und erzeugt in seinen Anweisungen für die One-Minute-Sculptures gekonnt Ambivalenzen: zwischen Herausforderung und Scheitern, Inszenierungslust und Scham. Tatsächlich sind seine One-Minute-Sculptures noch heute erfrischend zeitgenössisch. Doch leider ist ihm das selbst scheinbar gar nicht bewusst.
Sucht man in den gängigen Social Media nach dem Schlagwort „One-Minute-Sculpture“, wahlweise auch zusammengeschrieben oder auseinander oder auch nur #erwinwurm, so erhält man unzählige Variationen absurder Situationen, Körperhaltungen und Konstellationen. Die Interpreten stellen sich als einfallsreich im Umgang mit den ihnen zur Hand befindlichen Alltagsobjekten heraus und erweisen dabei Wurm nur allzu gern die Ehre der Verschlagwortung, ist er es doch, der ihren Ausführungen Anlass bietet und Sinn verleiht. So hat sich über die Jahre der Begriff One-Minute-Sculpture als Bezeichnung für nahezu alles durchgesetzt, das in seiner Zufälligkeit oder Absurdität eine Situationskomik erzeugt. Dabei handelt es sich gleichermaßen um vorgefundene Konstellationen wie auch um eigens - und für das Foto - kreierte Stillleben.
Doch Erwin Wurm ist über die durchschlagende Karriere seiner Ideen keinesfalls erfreut. Spricht man ihn darauf an, antwortet er gerne: „Ich schau mir das nie an. Ich weiß, dass ich immer wieder kopiert werde.“ Kopien? Die Grenze seines avantgardistischen Habitus ist hier leider wieder erreicht. Und das ist wirklich sehr schade.
Wurm erkennt nicht, wie einflussreich sein Werk für die Netzkultur sein könnte, begäbe er sich in diese Gefilde. Er erkennt nicht, dass die Strategie hinter den One-Minute-Sculptures auch dort funktionieren würde, ja er sich dort geradezu in ein gemachtes Bett legen könnte. Denn die Bildkulturen des Internets sind momentan dabei, eigene One-Minute-Sculptures zu kreieren, weil sie der gängigen Bildmotiven überdrüssig sind. Sie arrangieren Körper mit Früchten, Stühlen, Gurken und allem, was das Wurm’sche Herz begehren würde.
Man stelle sich vor, Wurm würde dieses Potential erkennen. Er würde sehen, dass sich sein Skulpturenbegriff nur zu leicht in das Internet ausweiten ließ. Bändigt man das Ephemere im Netz doch gerade mit Motiven, die das Potential haben, besonders oft und nachhaltig interpretiert und variiert zu werden.
Und sicher ließe sich auch daraus irgendein Verkaufskonzept entwickeln. Stattdessen präsentiert die Berlinische Galerie, wo man ab dem 15.04.2016 eine umfangreiche Ausstellung seines Werkes mit dem Titel „Bei Mutti“ sehen kann, Vorzeichnungen für die Handlungsanweisungen der One-Minute-Sculptures als ein noch nicht erschlossenes, umfangreiches und eigenständiges Werk. Wenn es keine Fotos mehr gibt, muss etwas anderes zum gleichen Preis verkauft werden können.
Manchmal gibt es Künstler, die, ohne dass sie es bemerken, leise überholt werden. Es sind meist jene Künstler, die einst den Zeitgeist besser zu inszenieren wussten als andere, die neue Standards setzten und es vermochten, auf gegenwärtige Phänomene zu reagieren. Irgendwann holt sie aber der gleiche Zeitgeist wieder ein und sie sind zu bequem geworden, sich in einen weiteren Dialog zu begeben. Vielleicht gehört Erwin Wurm zu dieser Art von Künstlern - und wahrscheinlich ist ihm das herzlich egal. Denn was hat denn schon die Kunst mit irgendwelchen Bildern aus dem Internet zu tun?
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