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food & Sport

Essen und Sport haben etwas gemeinsam: In Form von Bildern und Statements sind die beiden Bereiche zu wichtigen Ausdrucksmedien geworden. Möchte jemand zeigen, dass er Wert auf Gesundheit legt, wird er oder sie dies mit Sicherheit durch entsprechende Ernährung und sportliche Betätigung unter Beweis stellen. Zahlreiche YouTuber und YouTuberinnen geben einen guten Einblick in die generelle Vorstellung von einem gesunden Lebensstil. Ihre Morgenroutine: Ein Fruchtjoghurt oder gestampfte Bananen zum Frühstück – natürlich nachdem bereits ein Liter warmes Wasser getrunken wurde, damit sich Darm und Blase sanft entleeren. Anschließend einige Atem- und Yoga-Übungen. https://www.youtube.com/watch?v=no4fnSuR7tg Gibt man auf Instagram den Hashtag #healthy ein, erscheinen daher nicht zufällig vor allem Bilder von Essen oder Fitness-Situationen: ein großer Teller Salat, eine Gruppe von Frauen, die Smoothies trinken und dabei in die Kamera grinsen, mehrere Selfies aus dem Fitness-Studio – mit hochgeschobenem T-Shirt, sodass die Bauchmuskulatur sichtbar ist. Außerdem: Eine Platte Sashimi, wieder ein Smoothie, Olivenöl, Yoga am Strand, Obst, Volvic Wasser, Yoga im Zimmer, Joggen am Strand, Fruchtjoghurt, Gemüse. Schließlich kommt noch ein Spruchbild zum Vorschein, auf dem steht: „You get what you work for.“ You get what you work for. Das heißt auch: Du bist selbst für Deine Gesundheit verantwortlich. Die unzähligen Bilder von mutmaßlich gesundem Essen und sportlichen Aktivitäten suggerieren: die Befindlichkeiten des Körpers liegen in der eigenen Hand. Sie sollen zugleich als Motivation dienen und zur Aktivität anspornen. Und so ist Selbstsorge zu einer permanenten Aufgabe und Herausforderung geworden, die der stetigen Kontrolle bedarf. Und die auch umgekehrt das Resultat der immer leichter zu bedienenden und zum Teil attraktiven Möglichkeiten der Kontrolle in Form von Smartphone-Apps und Fitnessarmbändern ist. Unbemerkt und ohne viel Zutun werden damit Kalorien wie Schritte gezählt und Daten gesammelt. Es soll nicht angezweifelt werden, dass Ernährung und Sport den Körper auf positive wie negative Weise beeinflussen können. Dass sich eine Sensibilität für „richtige“ und „falsche“ Ernährung herausgebildet hat, ist durchaus ein wichtiger Fortschritt, der unbedingt positiv zu bewerten ist und für den es auch einzutreten gilt. Doch genauso muss die Kehrseite Beachtung finden, die keinesfalls ungefährlich ist. Zum Beispiel der Spruch „You get what you work for“: Er kann nicht nur motivierend, sondern zugleich auch anklagend – im Sinne von „Du kriegst, was du verdienst“ – verstanden werden. Dann ist der Adressat nicht nur verantwortlich für seine Gesundheit, sondern auch für potentielle Krankheiten. Ernährung und Sport werden somit zu Präventionsmaßnahmen. Wie sehr der Begriff der Vorsorge dazu geführt hat, dass Gesundheit und Krankheit zunehmend vor dem Hintergrund von Schuldfragen diskutiert werden, konnte man spüren, als Angelina Jolie 2015 ihre Brustabnahme aufgrund eines Krebsrisikos in der Öffentlichkeit thematisierte. Da es sich hier nicht um eine vage Prävention durch veränderte Ernährung oder Bewegung handelte, sondern um einen radikalen medizinischen Eingriff, wurden sogleich kritische Stimmen laut. Nun würden Frauen dies zum Exempel nehmen und glauben – so die gängige Argumentation – es sei ihre eigene Schuld, wenn sie erkranken. Das gleiche gilt aber auch für als falsch wahrgenommene Ernährung oder wenig Sport. Die Frage „Warum ich?“ – zu früheren Zeiten gen Schicksal oder Gott gerichtet – dürfte nur noch selten gestellt werden. Denn es gibt nun eine klare Antwort: Weil ich versäumt habe, aufzupassen. Zudem sollte man die Motivation für gesunde Ernährung, ausreichend Sport und Präventionen jeder Art infrage stellen: Handelt es sich dabei wirklich um den Ausdruck von Pflichtbewusstsein und Moral, wie es auf den ersten Blick scheint? Was für eine Art von Anliegen ist es, wenn ein Schüler oder eine Schülerin Videos über die eigene Ernährungsumstellung auf YouTube mit tausenden Gleichgesinnten teilt? Ist es nicht doch eher eine Ideologie, für die man als Missionar fungiert und die im übrigen auch schnell zum Fetisch werden kann, wenn dem nachmittäglichen Treffen mit Freunden an der Fritten-Bude eine Darmreinigung im heimischen Bad vorgezogen wird? Am Beispiel des schmutzigen Darm, der doch aber sauber sein sollte, zeigt sich ein Mentalitätswandel. Dieser wurde bereits 2008 von Robert Pfaller in seinem Buch mit dem Titel „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft“ gefasst, wenn er schreibt: „Das meiste, was früher einmal (oder selbst noch vor sehr kurzer Zeit) glanzvoll und großartig war <…> erscheint heute als unverständlich gewordener Schmutz an den Händen einzelner, auf die die Gesellschaft mit dem Finger zu zeigen beginnt.“ Das aber trifft gerade auf die Bereiche Ernährung und Sport zu. Stilisiertes Gehenlassen, wenn zum Beispiel Fastfood oder viel Popcorn an einem Filmabend verspeist wird, oder glamouröse Fragilität, die sich nur durch die Verweigerung von Sport herstellen lässt, ist einer Lebensweise gewichen, die von sich glaubt, reiner zu sein, und etwa in sämtlichen Formen von Diät, Detox oder Minimalismus zum Vorschein kommt. Doch den beiden, dem Schmutzigen und dem Reinen, ist etwas gemein. Sie beide beanspruchen für sich Natürlichkeit. Das Schmutzige im Sinne von etwas, das roh und unverarbeitet ist. Das Reine im Sinne der Echtheit und des Essentiellen.

Für ihren Roman „You Too Can Have A Body Like Mine“ hat die amerikanische Autorin Alexandra Kleeman die Sprache von Detox eingehend studiert. Er handelt von der Protagonistin A, die sich zunächst nur von Wodka und Wassereis ernährt, sich aber schließlich einer Ernährungssekte anschließt, deren Herausforderung darin besteht, den Menschen von der „dunklen“ Nahrung zu befreien und ihn dauerhaft durch „helle“ zu ersetzen. Die bevorzugten – besonders hellen – Mitglieder der Sekte (nicht zufällig hat der Leser dabei rassistische Assoziationen) leben abgeschieden von der Außenwelt in völlig weißen Räumen und unter ständiger Kontrolle. Sie nehmen „reinigende Bäder, die Erleuchtung bringen“ und vor den „giftigen Gedanken und Gefühlen normaler, nicht-erleuchteter Menschen“ schützen sollen. In Kleemans Beschreibung wird das Konzept „Entschlackung“ und „Entgiftung“ versuchsweise mit Exorzismus gleichgesetzt. Und so falsch ist der Gedanke nicht. Denn auch der Exorzismus ist eine Maßnahme gegen fehlende Kontrolle. Wie der Exorzist hinter unkontrollierten Bewegungen oder Gedanken das Werk des Teufels vermutet, so empfinden Ernährungsideologen unvernünftiges Essen als Werkzeug der Selbstzerstörung, das es zu beseitigen gilt. Kleemann zeigt, wie sehr der Gedanke, rein sei natürlicher, eigentlich eine Instrumentalisierung durch Ideologien darstellt. Und tatsächlich bewerben gerade Vegan-, Detox-, Entschlackungs- oder Diät-Anbieter ihre Produkte mit dem Argument, damit ernähre man sich gesünder. Wie fatal das etwa für junge Frauen werden kann, die durch eine Essstörung gefährdet sind, wird auch im Roman von Kleemann deutlich. Denn er erzählt zugleich die Geschichte einer Magersucht. Es gibt etwas, das unter dem Hashtag #healthy auf Instagram nicht vorkommt, auch wenn man es darunter vermuten könnte: Medikamente. Schließlich gab es eine Zeit, in der man Krankheitsanzeichen jeder Art mit der schnellen Einnahme eines Medikaments beseitigt hat. Auch darauf reagiert der aktuelle Ernährungs- und Fitness-Kult: dass im Alltag immer seltener versucht wird, die eigene Gesundheit mit Medizin aufrecht zu erhalten. Die in den letzten Jahren stark angestiegene Kritik an Medikamenten und der Pharmaindustrie als solcher hat mancherorts sogar dazu geführt, sie gänzlich in Frage zu stellen. Insofern wird mithilfe von Ernährung und Sport auch eine Kontrolle übernommen, die man sonst in den Händen eines Arztes liegen sah. Auf der anderen Seite wird immer öfter Ernährung unter medizinischen Aspekten betrachtet und tritt sogar teilweise – man denke nur an Nahrungsergänzungsmittel – im visuellen Gewand von Medikamenten in Erscheinung. Wer etwa glaubt, laktoseintolerant zu sein, nimmt am besten vor jeder Mahlzeit die kleinen weißen Pillen der Firma „Lactojoy“ ein – die aussehen wie eine Paracetamol und ganz offensichtlich mit dem Restglauben an die Wirkkraft von Medikamente operieren. Zudem werden Inhaltsstoffe von Lebensmitteln so manches mal wie ein medizinischer Beipackzettel studiert. Wurde also der Glaube an die Medizin durch den Glaube an die Wirkung von Ernährung und Sport verdrängt? Tatsächlich ist die Selbstverantwortung oft auch einer Selbstbezüglichkeit geschuldet – und wenn es unabwendbar wird, findet sich jede und jeder doch wieder auf dem Arztstuhl. ♦︎ Dieser Text kann auch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "food&" gelesen werden, die sich dem Themenschwerpunkt "Essen und Sport" widmet und heute veröffentlicht wird. Hier geht es zur Website des Magazins. https://www.instagram.com/p/BU9mm9tlPXI/?taken-by=foodandzine  

 
 
 

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