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Kick-Off-Bilder

"Bilder sagen mehr als tausend Worte“ ist ein beliebter Gemeinplatz, wenn es darum geht, den Vorteil von Bildern gegenüber der Sprache zu kennzeichnen. Komplexe Zusammenhänge oder mehrdeutige Gefühlssituationen können nur in Bildern dargestellt werden. Mit einem Porträt lasse sich, so glaubte man beispielsweise, die Seele einer Person sichtbar machen, die nicht mit Worten zu erfassen sei. Gleichzeitig wurde das zu einem Anspruch von Bildern, für deren Existenz man eine Legitimation suchte. Seit dem mosaischen Bildverbot wurden die Möglichkeiten und Funktionen von Bildern grundsätzlich infrage gestellt, was den Umgang mit ihnen tiefgreifend prägte. “, heißt es im Buch Mose, in dem auch vor den Gefahren einer Anbetung gewarnt wird. Diese Gefahr wurde mit der Medienunkenntnis erklärt: Man könnte womöglich das, was abgebildet ist, mit dem, was es abbildet, verwechseln. Man könnte ja glauben, was man sieht. Tatsächlich gab es in dieser Zeit weder Bildungsbürgertum noch Medienreflexion. Erst die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte einen breiten Zugang zu Wissen über Schrift und Bild und zu einer Fähigkeit medialer Reflexion: Michel Foucault beschreibt das Denken in Ähnlichkeiten, das vor dem Buchdruck herrschte, als magisch. Wohingegen das Denken seit dem frühen 17. Jahrhundert im Bewusstsein über die Konstitution von Zeichen ist und sich dieser entsprechend ermächtigen kann. Bilder und Zeichen bekommen Bedeutungen, die jenseits von dem liegen, was sie darstellen. Das Zeitalter der Repräsentation ist eingebrochen: dort sind Bilder und Sprache beherrscht von Symbolen, Metaphern und Allegorien. Die Darstellung einer weißen Taube zeigte nicht mehr einfach eine weiße Taube, sondern konnte nun von allen als Zeichen für Frieden interpretiert werden. Das Bewusstsein über die Zeichenhaftigkeit „“ (Foucault) Die „Gutenberg-Galaxis“ löst eine lange Zeit der Mündlichkeit ab, in der man über Bilder auch Wissen zu kommunizieren versuchte. Fortan mussten Bilder sich von ihren ursprünglichen Funktionen, der Bildung und Illustration, emanzipieren. So wurden Bilder zu modernen Kunstwerken, die den Anspruch haben, etwas sichtbar zu machen, was anderen Medien, auch körperlichen, verwehrt bleibt. Dieser Anspruch verstärkte sich durch die Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert. Erneut musste der Mehrwert gegenüber einem anderen Medium unter Beweis gestellt werden. Wieder wurde die Sichtbarmachung als Argument herangezogen: diesmal jedoch von Dingen, die sich nicht der Schrift, sondern der Sichtbarkeit entzogen. Ebenso versuchte die Fotografie ihre Daseinsberechtigung gegenüber der bildenden Kunst unter Beweis stellen. Mit dem Verlust ihrer Legitimation durch die Abbildungsfunktion mussten sich moderne Kunstwerke, aber auch die Fotografien umso stärker bemühen, Komplexität und das Nicht-Sichtbare darstellbar zu machen. Die Uneindeutigkeit von Kunstwerken führte dazu, dass man sie nicht mehr verstand. Kunst wurde erklärungsbedürftig und erschuf damit ihren eigenen Markt. Gleichzeitig entstanden in Folge der Weiterentwicklung der Fotografie zu einem massentauglichen Apparat Bilder, die private Funktionen einnahmen. Es waren Bilder, die in Alben zusammengestellt wurden, um Erinnerungen festzuhalten, oder die man Freunden vorführte, um Besitz und Erlebnisse zu verifizieren und zu demonstrieren. Jeder konnte sich nun der sozialen Dimension von Bildern vergewissern und diese ausnutzen. Doch auch private Bilder zeichnen sich durch die Darstellung von Situationen aus, die eine gewisse Komplexität und einen Deutungsraum besitzen. Anlässlich eines Familienfotos mutmaßt man gerne über die Beziehungen der Abgebildeten untereinander. Die Social Media haben neue Bildtypen produziert. Die schiere Masse an Bildern lässt uns nicht mehr über das einzelne nachdenken oder in seiner Existenz infrage stellen. Komplexe Bildtypen stoßen immer seltener auf Resonanz. Bilder werden zusehends auf einfache Motive reduziert. Die Vereinfachung ist einerseits das Resultat der Kommunikationsfunktion von Bildern, die wieder verständlich sein müssen. Die Vereinfachung der Motive ist aber auch dem Phänomen geschuldet, dass Bilder in den Social Media möglichst vielen Kontexten standhalten müssen und international auf Zustimmung stoßen sollen. Daher sind oftmals Bilder erfolgreich, die wieder genau das bedeuten, was sie darstellen: ein Regenbogen auf heller Haut, ein Tigerhandtuch im Sonnenuntergang, eine Grapefruit, die vor das weibliche Geschlechtsorgan gehalten wird. Die Evidenzen entstehen zufällig, so möchten die Bilder zumindest Glauben machen. Sie sind wertfrei und in ihrer Komik dem Moment geschuldet. Wie im Zeitalter vor der „Gutenberg Galaxis“ fragt man sich nicht mehr nach einer Bedeutung jenseits des Bildraumes, wenn man auf ein Tigerhandtuch oder einen Regenbogen oder Alufolie blickt. Der Bildstatus ist nicht mehr zwangsläufig Anlass für ein Hinterfragen, sondern immer öfter nimmt man ihn als gegeben hin.  Das heißt jedoch nicht, dass Bildern keine Bedeutungen mehr zugesprochen werden: im Gegenteil. Bilder inspirieren uns, weil wir in dem Wissen darüber sind, welche Wirkungen sie entfalten und wie wertvoll sie sein können. Während im Zeitalter des magischen Denkens Bilder als das galten, was sie darstellten, und im Zeitalter der Repräsentation Bilder an feste Bedeutungen geknüpft waren, stehen die Bilder der Gegenwart zwar immer noch in einer Relation zu Bedeutungen, jedoch sind diese immer seltener fest miteinander verknüpft. Bilder und Bedeutungen können im Idealfall frei konstelliert werden. Das Foto von dem Tigerhandtuch kann Werbung für einen Artikel von Tigerfans sein, ein spontanes Knipserfoto für den Facebook-Account oder aber ein gewollter Schnappschuss für die Kunstgalerie. In seiner motivischen Einfachheit ist das Bild emblematisch und verlangt danach, mit Bedeutung aufgeladen zu werden. Auch das ist eine zentrale Eigenschaft von Bildern, die von festen Bedeutungen frei sind, um individuell angeeignet werden zu können: die Suggestion von Wirkmächtigkeit. Als Beispiel hierfür könnte das Motiv des Regenbogens herangezogen werden, das man schon aus bestehenden Bedeutungskontexten kennt. Dennoch gelingt es, das Phänomen so aufzunehmen - als Lichteffekt auf der Haut -, dass man ihm zunächst keine darüber hinaus reichende Intention unterstellen möchte. Als die Eheschließung von Homosexuellen in den USA legalisiert wurde, hat sich der Regenbogen jedoch über Nacht als Zeichen für Homosexualität durchgesetzt. Der Lichteffekt auf Haut wurde so mit ebensolcher Bedeutung besetzt, erschien auf zahlreichen Blogs, erlebte seine Blütezeit. Etwa für zwei Tage, eine lange Zeit in der Welt des Internets. Es dauert oft nicht sehr lange, bis ein Motiv oder Bild wieder neu in den Startlöchern steht, in Kick-Off-Stellung geht. Bilder, die als Anstoß dienen, die den Auftakt für eine Bedeutung oder Nachinszenierung bilden, die unabhängig vom Ausgang kommender Bedeutungsspiele sind, kann man daher als Kick-Off-Bilder bezeichnen. Sie dürften in Zukunft immer häufiger produziert werden, je spontaner und flexibler unser Verhalten im Netz und mit Bildern wird. Bilder sagen nicht mehr tausend Worte, sondern oftmals nur noch eins: zum Beispiel Tigerhandtuch.

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