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Spoiler, Stars auf Instagram und meine Fan-Geschichte

Kürzlich habe ich auf Netflix die Serie „Pretty Little Liars“ gesehen. „Pretty Little Liars“ ist eine US-amerikanische Teen-Mystery-Serie, die 2010 das erste Mal ausgestrahlt wurde. Fünf Staffeln wurden in Deutschland online gestellt, während die siebte und letzte Staffel in den USA gerade abgedreht wurde. Weil es für Schauspieler wohl ein sehr emotionaler Moment ist, wenn sie sich von einem Seriencharakter, den sie jahrelang verkörpert haben, trennen müssen, wurde der Abschied auch zu einem dominanten Thema auf den Social-Media-Kanälen der Hauptdarsteller. So haben die Stars der Serie die letzen Drehtage auf Instagram und Snapchat regelrecht zelebriert. Jede „letzte“ Handlung wurde eigens gewürdigt, jeder Kollege eigens verabschiedet. Als Follower konnte man die Darsteller – aber auch die Produzenten, Stylisten, Make-up-Artists und viele mehr –, an das Set begleiten, Gast auf ihrer Abschiedsfeier sein, den Reden der Beteiligten lauschen und ihnen bei ihrem letzten Gang durch die Räume des Studios folgen.

Noch mitten im Serienvergnügen der fünften Staffel sah ich also dabei zu, wie sich die Darsteller von ihren Charakteren lossagten, sich zum Andenken tätowieren und zugleich neue Frisuren machen ließen. All das auf der Suche nach einer Persönlichkeit, die sich von der in den letzten sieben Jahren lang täglich gespielten unterschied. Für mich, den Zuschauer, war es ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits stellte sich eine Befremdung, zum Teil aber auch Enttäuschung ein. Wen ich für seinen Stil bewunderte, zeigte sich nun als gar nicht sensibel für Mode. Beziehungen, die ich unter den Serien-Protagonisten besonders gern sah, waren zwischen den Schauspielern selbstverständlich ganz anders gelagert –  es war entmystifizierend. Andererseits baute sich durch die Demaskierung der Fiktion auch eine ungeahnte Spannung auf, die bereits in den zahlreichen Making-Of-Bildern entstanden war, mit denen die Stars den gesamten Verlauf der Serie begleitet hatten. Bilder vom Set, von den Kameras und der Beleuchtung, vom Fitting, vom Warten in Regiestühlen, vom Textlernen oder Selfies aus der Maske wurden regelmäßig gepostet. Auch Filmstills, die durch einen begleitenden Text einen Blick hinter die Kulissen gewähren sollten. Ein Beispiel: Der Filmstill einer romantischen Kussszene im Regen wird von folgendem Text begleitet: „this scene was shot at 4am, the rain machines were ice cold, Ian and I were cursing the whole way through, my lips were blue…it was extremely unsexy“.

Was einst als Betriebsgeheimnis streng gehütet wurde, steht nun im Zentrum der Unterhaltung und hat durch Instagram und Snapchat eine ganz eigene Ästhetik bekommen. Selten geht es bei dieser Ästhetik um einzelne Bilder, sondern um den gesamten Account. Professionelle Bilder, etwa die Resultate eines aufwendigen Shootings, wechseln sich mit scheinbar privaten und laienhaften Aufnahmen ab. Das erzeugt Glaubwürdigkeit, da es so aussieht, als würde wirklich gezeigt werden: die Kulisse und der Blick dahinter. Während frühe inszenierte Fotografien von Stars, bei denen es sich oft um Einzelbilder oder kleinere Bildstrecken handelte, Gefühle der Unnahbarkeit beim Fan hinterlassen haben und auch hinterlassen sollten, produzieren die Bilder auf den mehr oder weniger persönlichen Social-Media-Accounts Nähe und Vergleichbarkeit und lösen damit diese Hierarchie auf. Noch in den 1990er und 2000er Jahren war eine solche Nahbarkeit undenkbar. Als Britney Spears im Mai 2000 ihr Album „Oops!…I Did It Again“ herausgebracht hatte, das zugleich den Höhepunkt ihrer Karriere markierte, war ich 11 Jahre und ein großer Fan. In hochgradig inszenierten Fotostrecken wurde Britney Spears als „Mädchen von Nebenan“ inszeniert, tatsächlich stand den Fans, mich eingeschlossen, aber nur ein immer wieder in allen Zeitschriften reproduziertes Set an Informationen über ihr Privatleben zur Verfügung. Es war nicht ungewöhnlich, dass Stars ihr Privatleben unter Verschluss hielten und dies stets eigens betonten. Denn damit wurde auch ein möglichst großer, aber eben auch künstlicher Projektionsraum für Fans geschaffen. Zugleich wurde so die Sammellust geweckt. Ich zum Beispiel habe in großen Ordnern jede noch so marginale Information über Britney Spears gesammelt – auch wenn es sich dabei nur um die Ankündigung eines Interviews im Inhaltsverzeichnis der Bravo handelte. Ich habe jeden Schnipsel fein säuberlich ausgeschnitten und auf Papier geklebt, in Folie gesteckt und nach Datum sortiert. Als Britney plötzlich in einem „Interview“ nicht mehr „babyblau“ auf die Frage nach ihrer Lieblingsfarbe antwortete, habe ich das registriert und mir Geschichten ausgedacht, wie es wohl zu dem Sinneswandel kam: War das Älterwerden dafür verantwortlich, ein Image-Wechsel oder gar ein neuer Freund? So wenig man tatsächlich gewusst hatte, desto mehr schien in jedem Druck ihres Namens, noch mehr in jedem Bild, lesbar zu sein. Ich hatte einen großen Wunsch zu dieser Zeit: nämlich Britney irgendwann bei MTV Cribs zu sehen. Das war eine Sendung, in der wohlhabende US-amerikanische Prominente durch ihre riesigen Häuser und Anwesen führten. Leider wurde die ersehnte Folge in Deutschland nie ausgestrahlt, aber vor wenigen Jahren habe ich sie auf YouTube gefunden, mich aber nicht mehr so sehr darüber gefreut. Heute bin ich dank Instagram gut darüber im Bilde, wie Britney Spears in ihrer Villa in der Nähe von Los Angeles lebt. Scrollt man sich durch ihre Bilder, bekommt man das Gefühl, es gebe keine Geheimnisse mehr. Man sieht sie beim Sport, mit ihren Kindern, beim Essen und bei Konzerten. Was also ehedem eine Voraussetzung für die Mythenbildung um Stars und ihre Auserwähltheit war, nämlich die Privatsphäre unter Verschluss zu halten, ist im Social Web hinfällig geworden. Natürlich gehört zu jedem Geheimnis seine Enthüllung, zu jedem Zeigen auch das, was es versteckt. Und doch zeichnet sich die Tendenz einer Verschiebung des Fokus ab. Wurde lange das Verbergen inszeniert, ist es heute das Zeigen. So wird man durch Instagram auch auf ein anderes wichtiges Motiv der gegenwärtigen Zeige-Kultur aufmerksam. Denn so manches Mal handelt es sich bei privaten Informationen aus den Accounts der Stars – besonders wenn es sich dabei um Schauspieler handelt – auch um Spoiler. Einerseits, indem Informationen aus dem Backstage-Bereich eine Veränderung der Charaktere erahnen lassen, andererseits wenn eine für den Fortgang des Films oder der Serie besonders relevante Szene vorab darin erscheint. Das war zum Beispiel der Fall, als vor wenigen Wochen die Darsteller sowie der Sender (CMT) der Serie „Nashville“ das Bild einer Beerdigung gepostet haben, aus dessen Beschreibung eindeutig der Tod der Hauptdarstellerin hervorgeht. Während das Bild in den USA nur geringfügig zeitversetzt zur späteren Ausstrahlung an die Öffentlichkeit gesandt wurde, liegt für deutsche Zuschauer diese Information noch in weiter Zukunft: So sind erst drei Staffeln zugänglich, während in den USA bereits die 5. Staffel zu sehen ist. Aus den Kommentaren zu dem Bild geht hervor, dass es auch für Fans aus Großbritannien, den Niederlanden und Australien ein massiver Spoiler war.

Lange Zeit war der Begriff Spoiler gänzlich negativ konnotiert. „To spoil" heißt „verderben“ und gemeint ist der Genuss an einem literarischen oder filmischen Werk, wenn dessen Ausgang verraten wird. Erstmals tauchte der Begriff in einem Artikel aus dem Satire-Magazin „National Lampoon“ von 1971 auf. Douglas C. Kenney stellte darin eine Sammlung populärer Spoiler auf und spricht von ihnen ironisch als einem Service, der Zeit und Geld spart. Mit dem Internet und User-Foren bekam das Ausmaß an Spoilern eine neue Dimension – und mit ihnen Spoilerwarnungen. Durch die Social Media sind Spoiler schließlich im großen Stil möglich, lassen sich doch zeitgleich besonders viele Menschen erreichen und Enthüllungen um ein vielfaches schneller verbreiten. Den Rezipienten ist es auf der anderen Seite nahezu unmöglich, sich den Spoiler-Inhalten zu entziehen – anders als in User-Foren, wo sie oft verschlüsselt in Erscheinung treten. Doch vor allem im Zuge von Binge Watching auf Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime und Co., erlebte der Begriff „Spoiler“ in den letzten Jahren eine enorme Konjunktur. Und auch wenn Spoiler auch gegenwärtig noch häufig als grobe Unhöflichkeit empfunden werden, wie im eben erwähnten Beispiel, wird ihnen zunehmend eine eigenständige Qualität beigemessen. Man denke etwa an das Netflix-Projekt „Living with Spoilers“, bei dem sich Zuschauer gezielt, allerdings zufällig, spoilern lassen können. Das Motto „Some Secrets Are Too Good to Keep“ macht deutlich, wie sehr das Zeigen und die Enthüllung im Vergleich zum Verbergen an Bedeutung gewonnen haben.

Doch am Ende stellt sich die Demaskierung der Stars und der Fiktionen, die sie einst erzeugt haben, auch als Ernüchterung dar. Denn das Star-Sein selbst ist damit auch nicht länger ein Geheimnis, dem man etwa als Fan stets auf den Grund zu gehen versucht. Das Star-Sein zeigt sich nun vielmehr als Geschäft, als Resultat eines großen Arbeitsaufwandes und Trainings. Stars sind keine Auserwählten mehr, sondern Berufstätige. Auf die zahlreichen und zum Teil humorvoll – etwa als Meme – inszenierten Spoiler reagieren gegenwärtige Produktionen unterschiedlich. Oft werden Narrationen verdichtet und immer mehr Twists eingebaut. Oder man arbeitet an einer Auflösung der als selbstverständlich wahrgenommenen, weil stets thematisierten Unterscheidung von der Privatperson und dem verkörperten Charakter. Das ist beispielsweise bei der Serie „Nashville“ der Fall, die nicht zufällig die Geschichte verschiedener Karrieren von Country-Stars zum Inhalt hat. Viele der Protagonisten sind auch über die Geschichte hinaus als Musiker und Musikerinnen aktiv oder erst später aktiv geworden; aus ihren privaten Accounts geht nicht mehr klar hervor, wann ein Konzert in der Serie, wann „in echt“ stattfindet. Von den Produzenten war dies wohl intendiert, als sie sich entschieden, zu jeder Staffel ein eigenes Album herauszubringen und die Serienstars auf „echte“ Konzerttouren zu schicken. In den Hashtags tauchen stets beide Namen auf, der des Seriencharakter und der tatsächliche. Manchmal werden die Hintergrundinformationen auf Instagram zu den eigentlich spannenden Geschichten, wenn sich Stars etwa vielfältig vernetzen und gegenseitig adressieren, sodass parallele Beziehungsgeflechte entstehen, die wiederum zu Mutmaßungen anregen. So wenig man noch in den Handlungsverläufen von Serien überrascht wird, weil man ihre Twists dank Spoilern bereits kennt, so sehr wird man von dem parallelen Konsum der privaten Instagram-Accounts unterhalten.

 
 
 

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